Stefan Gössling, geboren 1970, ist Professor für nachhaltigen Tourismus und nachhaltige Mobilität an der Universität Lund in Schweden. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er den ökologischen Ferienbauernhof Solberga Gård in Öland und kompensiert die Anreise seiner Gäste – egal, ob sie mit dem SUV oder mit Rad und Bahn zu ihm kommen.
Anderswo: Herr Gössling, Sie stehen für konsequent umgesetzte Nachhaltigkeit im Tourismus und moderierten im Jahr 2018 den CSR-Tag auf der ITB. Wie passt das zusammen?
Als der Leiter des ITB Kongresses, Roland Conrady, 3 Jahre zuvor auf mich zu kam und mir den Job anbot, war ich selbst erst einmal überrascht. Es war für mich Bedingung, dass die ganze Veranstaltung kein Greenwashing werden darf, dass unbequeme Fragen gestellt und interessante Gesprächspartner eingeladen werden können – wie in jenem Jahr zum Beispiel der Postwachstumsökonom Niko Paech.
Bleibt der CSR-Tag nicht dennoch Alibi-Veranstaltung einer Branche, die immer rücksichtsloser Umwelt- und Klima attackiert?
Die ITB verkauft Reisen. Da gibt es erst einmal nur ein geringes Nachhaltigkeitsinteresse. Das gilt für deutsche Chefetagen generell. Nachhaltigkeit kommt vor allem in der Firmenaußenkommunikation vor, aber spielt sicherlich keine zentrale Rolle bei CEO-Entscheidungen. Dennoch versuche ich ganz gezielt, kritische Fragen zu stellen, so dass hier und da vielleicht ein Umdenken stattfindet in dieser traditionellen Branche.
Wie kann man sich das vorstellen?
Die Firmen können Umweltschäden ignorieren, die sie verursachen. Was sie nicht ignorieren werden, sind die Interessen von Anlegern, die ihr Geld rausziehen aus Branchen, denen sie keine Zukunftsfähigkeit zutrauen. Das Thema Divestment, das 2018 auf dem CSR-Tag angesprochen wurde, ist zum Beispiel in den USA ein wichtiger Treiber. In Europa ist es nicht die Börse, sondern die Rechtslage, die Firmen zu Verhaltensänderungen treiben könnte – zum Beispiel bei Themen wie Fluglärm, Emissionsabgaben oder Luftreinhaltung.
Sie wollten die ITB nutzen, um diese Denkansätze wenigstens schon mal zu streuen?
Bei den ITB-Veranstaltungen haben wir ein grundsätzliches Kommunikationsproblem: Hier sitzen ja nicht die CEOs und hören uns zu. Wir erreichen eher die mittlere Ebene. Aber ich halte es dennoch für eine Chance, unbequeme Wahrheiten weiter auszubreiten und Lösungsansätze vorzustellen.
Unbequeme Wahrheiten – was möchten Sie da in erster Linie vermitteln?
Die Tourismusbranche – und vor allem der damit verbundene Flugverkehr – trägt erheblich zum Klimawandel bei. Da wir die CO2-Emissionen entschieden reduzieren müssen, wird eine Frage sein, wie viel wir noch fliegen können. Es wird in absehbarer Zeit keine technische Lösung geben. Die Gesellschaft muss entscheiden, wie viel Flugverkehr möglich und was davon wirklich nötig ist. Die Entwicklung der Weltbevölkerung ist ein weiteres zentrales Thema. Sie überschreitet alle Prognosen. Wir werden uns also der Verteilungsfrage stellen müssen. Letztendlich stellt sich die Frage, ob Tourismus, wie wir ihn gewohnt sind, in Zukunft überhaupt noch möglich sein wird.
Sie bieten in Schweden Urlaub auf einem Öko-Hof an. Ist es die Bewegung von unten, sind es die kleinen Umweltpioniere, die die Branche retten werden?
Ja und Nein. Erst mal ist das natürlich toll, dass es die Umweltpioniere gibt. Es gibt aber auch das Risiko, dass durch positive Einzelbeispiele gerechtfertigt wird, dass im Großen alles genauso weiter läuft wie bisher, also der Ressourcenverbrauch weiter zunimmt. Gerade die sehr kleinräumigen und individuellen positiven Beispiele aus Entwicklungsländern werden immer wieder genutzt, um den Tourismus in Entwicklungsländern als generell gut und wichtig darzustellen. Global gesehen entwickelt sich der Tourismus aber weiter in die falsche Richtung. Die meisten Unternehmen setzen noch nicht mal die Erkenntnisse um, die ökonomisch sinnvoll wären.
Und was wäre der richtige Weg? In welche Richtung muss sich die Tourismusbranche weiterentwickeln?
Das Bedürfnis, Urlaub zu machen, Neues zu erleben, sich zu erholen, ist legitim. Möglichst viele Menschen – nicht nur die Reichen – sollen in den Ferien eine gute Zeit haben. Es geht darum, das System so zu gestalten, dass das möglich und trotzdem nachhaltig ist. Destinationen müssen darüber nachdenken, welche Märkte besonders geringe Emissionen verursachen. Wie die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste verlängert werden kann. Reiseveranstalter müssen umweltfreundliche Reisen besser vermarkten und Fernreisen in den Giftschrank stellen. Nachfrage kann in weiten Teilen gesteuert werden. Aber wir müssen anfangen, endlich innovativ zu werden und neu zu denken.