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Schönster Badefluss mit bunten Steinen und fantastischen Badestellen: der Fango-Bach im Westen von Korsika / © Regine Gwinner

Radtour auf Korsika

von Regine Gwinner

Eine Radtour auf Korsika bietet die ganze Vielfalt: steile Anstiege, rasante Abfahrten, schöne Strände, Meerblick und viele besondere Unterkünfte entlang der Strecke. Anderswo-Autorin Regine Gwinner hat es ausprobiert.

Die alte Frau lacht uns aus. Ganz langsam kämpfen wir uns mit den schwer bepackten Rädern den kurzen Steilanstieg hoch, Kopf an Kopf mit der Fußgängerin am Straßenrand. Sie wirft einen abschätzenden Blick auf unsere Räder. „Sans électricité?“, kommentiert sie, was sich so anhört wie „Schön blöd!“ oder: „Selber schuld, dass ihr so ackert“. Womit sie nicht ganz unrecht hat. Wer sich mit einfachem Tourenrad und großem Gepäck nach Korsika auf Radreise begibt, der weiß: Es kann Berge geben.

Korsika per Rad – man muss es schon wollen

„Heute müssen wir nur über einen Berg“, sagt mein Begleiter und Tourguide, als wir morgens in Bastia von der Fähre rollen. Erster Tag, erste Tour: Bevor wir unsere Leistungsfähigkeit auf die Probe stellen, frühstücken wir erst mal auf der Place Saint Nicola mit Blick auf den Hafen. Dann schwingen wir uns auf die voluminösen Räder und fädeln uns ein in den Morgenverkehr. Ohne Aufwärmphase geht es direkt bergauf. Schon bevor wir die Stadtgrenze von Bastia erreicht haben, bin ich mir nicht mehr sicher, ob Korsika mit dem Rad eine gute Idee war. Der Bergrücken Cap Corse, der Bastia von St. Florent trennt, ist mit 500 Höhenmetern für korsische Verhältnisse vergleichsweise bescheiden. Aber die Straßen sind heftig steil – und flache Stücke, auf denen man mal Luft holen könnte, gibt es nicht. Dafür wird der Ausblick Höhenmeter für Höhenmeter erhebender. Als ich im kleinen Örtchen Cardo oberhalb von Bastia vor der Kirche auf einer Bank kollabiere, macht mich die Aussicht sofort wieder munter: Über Häuser und Gemüsegärten hinweg reicht der Blick weit hinaus aufs tiefblaue Meer, darüber ein Mittelmeerhimmel aus dem Bilderbuch. Genauso habe ich mir die Radtour auf Korsika vorgestellt – minus der Anstrengung. Mit dem Stoizismus eines Arbeitspferdes kurble ich in Zeitlupe bergan. Kurz vor dem Kamm steht ein Foodtruck am Straßenrand. Der Besitzer sieht uns heranstrampeln und erfasst intuitiv die Lage. Ruckzuck trägt er zwei Stühle, einen kleinen Tisch und eine Flasche eiskaltes Wasser in den Schatten einer großen Kastanie. Wir bestellen Kaffee, Orangina und die große korsische Spezialitätenplatte: aromatischer Käse, köstliche Feigenmarmelade, Salami, Schinken, Honig und frisches Holz­ofenbrot. Warum habe ich gerade nochmal so gejammert? Wieder lassen wir uns vom Blick verzaubern, der auf dieser Höhe schon einen großen Teil der Ostküste und die ersten hohen Berge im Landesinneren erfasst, und freuen uns, dass wir den höchsten Punkt unserer Tagesetappe schon fast erreicht haben.

Der beste Aussichtspunkt erwartet uns aber erst kurz hinter dem Kamm: Zu unseren Füßen liegt die kreisrunde Bucht von St. Florent, umrahmt von der grünen Hügellandschaft der Region Patrimonio – einer Weinregion, die vom Hinterland des Cap Corse bis zur Küste reicht. Von der Hauptstraße biegen wir auf einen ruhigen, wenn auch steinigen Landwirtschaftsweg ab und holpern zwischen Weinreben bergab Richtung Küste. Die meisten Weingüter in der Region Patrimonio produzieren Bioweine. Viele arbeiten mit autochthonen Rebsorten, die in diesen heißen und trockenen Hanglagen heimisch sind. Besondere Spezialität der Region ist ein kräftiger und goldgelber Muscat. Nach Abendessen und Mondspaziergang am Strand schlüpfen wir ziemlich müde in die Schlafsäcke. Es gab schon ganze Urlaube, in denen wir weniger erlebt haben.

Korsische Radroute GT 20

Als wir am nächsten Tag von der Küste aus weiter ins Landesinnere radeln, halten wir verblüfft vor einem Wegweiser mit Fernradweg-Beschilderung an: GT 20 steht da und eindeutig ein Fahrradsymbol. Das kleine Inlandsträßchen, das den Seitentälern des Ostriconi hoch hinauf in die Berge folgt, sieht viel versprechend aus. Wir biegen von der Hauptstraße ab und finden uns mitten in einsamer Natur und auf dem perfekten Radweg wieder. Ganz entspannt radeln wir nebeneinander bergauf, unterhalten uns, solange die Puste reicht, und genießen die autofreie Zone. Aber leider hält der GT 20 nicht, was er auf diesem Abschnitt hoch nach Novella verspricht. Oberhalb des Ortes verweist die Beschilderung wieder auf die Landstraße, die die Radler dann mit Autos, Motorrädern und Kühen teilen. Von allen Verkehrsteilnehmern sind die Kühe die entspanntesten. Wie auch Schafe, Schweine und Ziegen bewegen sie sich unbehindert von Weidezäunen in der gesamten Bergregion.

Immer wieder begegnen wir in den nächsten Tagen der GT20-Beschilderung. Sie begleitet uns von Novella aus erst über den Pass und dann hinunter ins Asco-Tal. Auch die vor allem bei Motorrad- und Autofahrer*innen beliebte Panoramastrecke am Gebirgsfluss Golo entlang, die durch den Canyon de la Ruda und am Calacuccia-Stausee vorbei über 40 Kilometer hoch hinauf zum Col de Vergio führt, ist als Radroute beschildert und mit motivierenden Kilometermarkierungen mit Hinweis auf die aktuelle Straßensteigung ausgestattet. Nach der langen und heißen ersten Streckenhälfte durch die schroffe Golo-Schlucht genießen wir den ruhigeren Endaufstieg durch schattige Eichen- und Pinienwälder.

Steile Küste zwischen Porto und Calvi

Ein weiteres Highlight auf dem GT 20: die spektakuläre Küstenstrecke zwischen Porto und Calvi. Ich bin froh, dass wir von Süden nach Norden unterwegs sind und nicht umgekehrt. So kann ich mich immer schön Richtung Felswand orientieren und muss nicht am Rand der Steilküste entlang balancieren. Der rote Fels, das in unterschiedlichen Türkistönen schimmernde Meer, weiße Strände und grüne Macchia sind typisch für die UNESCO-Welterbe-Region rund um den Golf von Porto. Heute kommen wir nur sehr langsam voran. Wir tauschen Radler- gegen Badehose und lassen den Tag in der Strandbar bei Rosé und korsischen Spezialitäten vorbeiziehen.
Die letzte Teilstrecke des Tages von Calvi nach Algajola fordert noch einmal alles. Es ist Rushhour. Um dem Verkehr wenigstens ein bisschen auszuweichen, wählen wir die Strecke über das Bergdorf Lumio. Ein paar Höhenmeter extra, dafür werden wir – wieder einmal – mit einem fantastischen Blick über die ganze Westküste belohnt. Das Bergdörfchen hat sich dank seiner besonderen Lage zum Wohnort für reiche Calviner*innen entwickelt. Von oben kann man den Glanz der ummauerten Anwesen mit alten Villen und gepflegten Gärten erahnen.

In Algajola wartet Maud auf uns. Sie hat in der historischen Burg im Ortskern ein stilvolles Bed & Breakfast eingerichtet. Wir genießen den Luxus des großen weichen Betts und den kühlen Rosé auf der Dachterrasse mit Blick auf Meer und Berge – alles, was diese Insel ausmacht.

Motivation statt E-Motor

Am nächsten Morgen vor dem Supermarkt treffen wir endlich mal wieder Reiseradler: zwei junge Männer mit perfekt ausgestatteten Gravelbikes. Jeder freie Zentimeter Rahmen ist von kleinen Spezialtaschen umhüllt. An der Gabel sind rechts und links Mini-Packtaschen befestigt. So verteilt sich das Gepäck übers ganze Rad und hält die Silhouette schlank. Wir bewundern Bikes und Biker. Mit solchen Rädern könnten wir fernab der nervigen Hauptstraßen die vielen kleinen Schottersträßchen nutzen, die sich kreuz und quer, bergauf, bergab über die ganze Insel ziehen. Aber die Jungs winken ab. Abseits der Straßen? Das haben sie sich bisher nicht getraut. Als wir erzählen, dass wir die vergangenen Tage über den Col de Vergio und an der Spelunca-Schlucht entlang unterwegs waren und der spektakulären Steilküste bis Calvi gefolgt sind, ändert die Bewunderung die Richtung. Materialmäßig sind wir im Vergleich zu den wenigen Radreisenden, die uns begegnen, am unpassendsten ausgestattet. Kein Motor, keine breiten Reifen, viel zu viel Gepäck. Aber bei Motivation, Mut und Höhenmetern schneiden wir dafür ganz gut ab.

Die beste Bratwurst Korsikas

Zurück nach Bastia zur Fähre heißt auch: noch einmal oben rüber über die korsischen Berge. Um uns schon vorab für die zu erwartenden Strapazen zu belohnen, haben wir uns in Murato, dem höchsten Bergdorf auf der Strecke, ein idyllisches B&B mit Pool und einen Extra-Pausentag vorgebucht. Aber bevor wir die müden Beine im kühlen Pool baumeln lassen können, müssen wir hoch auf den Berg. Noch mal 1.500 Höhenmeter, die wir vor uns haben. Der Anstieg zieht sich. Noch ein Kurve und noch eine. Zu allem Überfluss geht es am ausgefransten Straßenrand häufig senkrecht in die Tiefe – nichts für schwache Nerven. Ich radle stoisch im ersten Gang auf der Mittellinie und bete, dass niemand entgegenkommt. Die Sonne brennt, der Kopf unterm Helm erreicht Höchsttemperatur, der Schweiß rinnt. Und noch eine Kurve und noch eine ...

Endlich Häuser, hoffentlich eine Bar! Am Ortseingang von Canavaggia ist ein handgeschriebenes Schild an die Straßenlaterne getackert: Café. Der Pfeil weist nach rechts zum Sportplatz. Wir folgen der Verlockung eines kühlen Getränks und landen am klassischen Sportplatz-Freilufttresen. Die Theke ist überraschend gut besucht für einen Wochentag-Nachmittag. Die Locals feiern Geburtstag mit lauter Musik, Gesang und viel Rotwein. Wir sitzen etwas abseits und genießen unsere eiskalte Limo, als der Grillmeister uns zwei duftende Würstchen im Baguette in die Hand drückt. „Unbedingt probieren! Das sind die besten Bratwürste von ganz Korsika“, sagt er. Das Fett tropft und mir läuft bei dem köstlichen Würstchenduft das Wasser im Mund zusammen. Gestärkt steigen wir wieder auf die Räder und kurbeln weiter bergauf, steiler und steiler, bis der Kamm endlich in Sicht kommt. Erschöpft lassen wir uns in die Wiese fallen, trinken den letzten Schluck Wasser und machen noch mal Pause, bevor wir, ziemlich am Ende, Murato und unserem Tourende entgegenrollen.

Reiseplanung

Anreise

Mit dem Nachtzug von Köln nach Zürich. Von dort zu den Fährhäfen Genua oder Savona. Oder: Von München über Florenz zum Fährhafen Livorno. Fähren gehen nach Bastia, Ajaccio oder Ile-Rousse. Auf Korsika selbst gibt es keinen öffentlichen Verkehr mit Fahrradmitnahme. Wer keine Rundtour fahren möchte, sollte daher An- und Abreise von unterschiedlichen Häfen buchen.
https://www.wirsindanderswo.de/anreise/kosika-per-zug-und-faehre

Routenplanung

Fernradweg GT 20: Mit der Korsika-Querung per Rad versucht Korsika-Tourismus die Idee des erfolgreichen Fernwanderwegs GR 20 zu kopieren. Allerdings lässt die Wegeführung zu wünschen übrig. Ein Großteil der Strecke verläuft ohne Radweg auf Hauptverbindungs-straßen. www.visit-corsica.com > GT 20
Wenig Verkehr ist in der Regel auf kleinen Nebenstraßen. Hilfreich für die Planung ist eine Straßenkarte im Maßstab 1 : 50.000 zum Beispiel von Kompass.

Das richtige Rad

Mit einem stabilen Trekkingrad kommt man auf Korsika schon ziemlich weit. Wer sich abseits des Straßennetzes bewegen möchte, sollte sich allerdings für ein Mountain- oder Gravelbike entscheiden. Damit können auch die vielen sehr kleinen Forststraßen im Inselinneren gut befahren werden, was deutlich mehr Flexibilität bei der Routenwahl ermöglicht.

Veranstalter

Eine spektakuläre "Grand Tour de Corse" einmal quer über die ganze Insel kann man beim Reiseveranstalter Bike Frankreich buchen. 7 Tage mit sportlichen Etappen zwischen 80 und 110 Kilometern Länge.

Keine Radreise, aber ein sehr schönes Rad- und Wandercamp an der Westküste Korsikas bietet der Reiseveranstalter elan Sportreisen an.

Korsika zu Fuß erkunden: Der Reiseveranstalter Wikinger Reisen bietet einige Wandertouren in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden in die korsische Bergwelt an

Übernachten

Korsika bietet eine große Auswahl an Campingplätzen – fast überall auf der Insel.

Wer lieber ohne Zelt und mit leichterem Gepäck reist, findet individuelle Gästezimmer bei den Chambres d'hôtes. Oft kochen die Gastgeber*innen köstliche regionale Mahlzeiten für alle Gäste. Gegessen wird am großen Gemeinschaftstisch.

Etwas teurer, aber meist sehr schön gelegen und eingerichtet, sind die vielen Privatunterkünfte und kleinen familiären Hotels, die es vor allem entlang der Küste gibt. Auch in vielen kleineren Bergdörfern finden sich schöne Unterkünfte.

Wo wir uns auf unserer Reise besonders wohl gefühlt haben:

U Castellu Guesthouse: Tolle Lage, sehr schöne Einrichtung, liebevolle Betreuung in der alten Burg im Herzen von Algajola

Auf der offiziellen Webseite von Korsika Tourismus gibt es eine große Auswahl an Unterkünften auf Korsika von Nobelhotel bis Berghütte