Wonach suchst du?

Vier Kinder halten sich an den Händen, während sie durch einen Wald wandern

Gemeinsam kommt man weiter: Outdoor-Erlebnisse sind für Kinder auch eine gute Teamgeist-Übung / © istockphoto.com

Teamgeist statt Nörgeltruppe

von Regine Gwinner

So gelingt Outdoorurlaub mit Kindern

Der Urlaub ist eine gute Gelegenheit, die Rollen in der Familie einmal anders zu verteilen und prägende Erlebnisse zu schaffen.

In der korsischen Macchia hat schon manch ein Eroberer sein Waterloo erlebt. Auch diese Wanderung steht kurz vor dem Scheitern. Nachdem sich die Familie vier Tage lang durch wegloses Gelände, Hochgebirge, Stürme und gefährliche Schluchten gekämpft hat, hängt sie nun – ganz kurz vor dem Ziel – in dichtem Brombeergebüsch fest. Ranken verhaken sich in T-Shirt und Rucksack, Arme und Beine sind von den scharfen Dornen blutig zerkratzt. "Wir kehren um, hier kommen wir nicht durch”, resigniert Familienvater und Bergführer Ulrich, der sein kleines Team bisher tadellos durch alle Unwägbarkeiten gelotst hat.

Jetzt aufgeben? "Wir haben es doch fast geschafft!”, protestiert die zehnjährige Tochter und übernimmt kurzerhand die Führung. Sie befreit den Rucksack ihres Vaters aus der Brombeerumklammerung, hält Ranken zur Seite, benutzt den Wanderstock als Machete, bringt den verzweifelten Bruder wieder zum Lachen und versprüht so viel Zuversicht, dass alle die letzten Kräfte mobilisieren. Eine halbe Stunde später ist es tatsächlich geschafft: Der völlig verwachsene Weg mündet aufs freie Feld. Dahinter ist schon das Meer zu sehen. Rollentausch in einer Extremsituation.

So glücken Wanderungen mit Kindern

Wenn es einen Konsens unter Erwachsenen gibt, dann diesen: Kinder wandern nicht gerne. Daran stimmt zumindest eines: Die wenigsten Kinder wandern, wenn man ihnen die Wahl lässt. Ihr Urlaubsideal beinhaltet: lange schlafen, viel Computer spielen und im Schwimmbad oder – noch besser – am Strand rumliegen. Sie würden aber ohne sanften Druck von Seiten ihrer Eltern auch keine Fremdsprachen lernen, kaum Gemüse essen, nicht im Haushalt helfen und vermutlich auch kein Instrument spielen lernen. Eltern greifen ständig und umfassend in die Lebensgestaltung ihrer Kinder ein und versuchen, ihnen Werte und Kenntnisse zu vermitteln, die aus Kindersicht erst einmal wenig Attraktives haben.

Regel 1: Mehrtägige Touren sind besser als Tagestouren

Doch oft sind es auch die Eltern selbst, die ihr verständliches Bedürfnis nach Ruhe, Erholung und einer möglichst reibungsfreien Zeit auf die Kinder projizieren. Die überraschende Erkenntnis: Bei mehrtägigen Streckenwanderungen oder Fahrradtouren gibt es weniger Proteste als auf Tagestouren rund um eine feste Unterkunft. "Das liegt daran, dass die grundsätzliche Entscheidung, wie es weitergeht, auf einer Fernwanderung bereits getroffen ist und nicht jeden Morgen neu diskutiert wird", erklärt Ulrich, der mit seiner Familie ganz unterschiedliche Arten der Urlaubsgestaltung ausprobiert hat. "Auch dem dickköpfigsten Kind ist klar, dass ein Trotzanfall wenig bringt, wenn das Essen im Rucksack knapp und das nächste Dorf 15 Kilometer entfernt ist", weiß der Familienvater aus Erfahrung.

Urlaub als Teambuilding für die Familie

Wie wird aus vier Individuen mit ganz unterschiedlichen Werten, Stärken und Bedürfnissen ein Team, das gemeinsam durch dick und dünn geht, Krisen und Frustrationen überwindet und das hart Erarbeitete gemeinsam feiern kann? Der Urlaub ist eine gute Gelegenheit, Rollen zu tauschen und die eigenen Stärken kennenzulernen. Firmen schicken ihre Mitarbeiter*innen dafür auf teure Spezialseminare oder in Abenteuercamps. Dort werden die Kolleg*innen mit Aufgaben konfrontiert, die nur gemeinsam zu lösen sind, müssen Ängste überwinden, Vertrauen fassen und ungewohnte Verantwortung übernehmen.

Regel 2: Herausforderungen nicht zu klein wählen

Der Familienurlaub kann eine ähnliche Funktion haben. Sobald die alltägliche Aufgabenverteilung wegfällt, spielen Begabungen, Ausdauer, Humor oder Abenteuergeist eine größere Rolle als Alter, Rangordnung, Geschlecht oder Gewohnheit. Wichtig ist, dass die Herausforderungen nicht zu klein sind. "Unsere Zwillinge waren sechs als wir die ersten größeren gemeinsamen Wanderungen gemacht haben", erzählt Adelheid Spengler, Montessori-Pädagogin und Mutter von drei Kindern. "Was sie motiviert hat: Endlich hatten sie ihre eigenen Rucksäcke und konnten ihr Gepäck selbst tragen." Statt mehr zu jammern, freuten sie sich darüber, ihre Stärke und Selbständigkeit zu demonstrieren und endlich den Eltern gleichgestellt zu sein. "Sie konnten etwas zum Vorankommen der ganzen Familie beitragen und waren stolz darauf, dass sie den Eltern etwas abnehmen konnten", erklärt Spengler.

Brauchen Kinder einen festen Ort?

Wer mit seinen Kindern von Ort zu Ort zieht oder ihnen lange Touren mit Gepäck zumutet, muss sich schon mal rechtfertigen – auch vor sich selbst. Brauchen Kinder nicht Geborgenheit, einen festen Ort, zu dem sie zurückkehren können, Gegenstände, die sie kennen, Menschen, zu denen sie Verbindungen aufbauen können? "Natürlich habe ich mich vor jeder Reise gefragt, ob wir da auch alle wieder glücklich zurückkommen", sagt Adelheid Spengler. "Aber man merkt ja auch unterwegs, wie die Stimmung ist und ob die Kinder leiden.

Regel 3: Keine Angst vor dem Umherziehen!"

Vier Wochen mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Italien, im Pferdewagen durch die Vogesen, zu Fuß durch die Alpen... "Als Pädagogin würde ich sagen: Heimat trägst du in dir", sagt Spengler. "Wenn wir zu fünft unterwegs sind, dann sind wir ja der heimatliche Kern. Da ist schon viel Geborgenheit da."

Den ganzen Tag draußen sein, spielen, Rast machen, wo es am schönsten ist, und jeden Abend an einem anderen Ort schlafen: Kinder sind in der Regel neugierig und unternehmungslustig. Spengler ist überzeugt, dass Kinder, wenn sie in der Natur sind, gewohntes Spielzeug nicht vermissen. "Die »Vorbereitete Umgebung« der Montessori-Erziehung beschreibt genau das, was Kinder in der Natur vorfinden: Plätze zum Klettern, Verstecken und Toben, Sand, Steine, Holzstücke und viele andere Gegenstände, aus denen sie Fantasiewelten schaffen können. Mehr brauchen Kinder nicht," erklärt sie.

Die erste Fahrradtour als Familie

Barbara, Lehrerin und Mutter von zwei Söhnen, hatte über viele Jahre mit ihrer Familie Campingurlaub mit dem Auto gemacht. Da die ganze Familie auch im Alltag begeistert radelte, planten sie dann irgendwann gemeinsam mit den Kindern, die damals 10 und 11 Jahre alt waren, eine Radtour mit Zelten und Gepäck direkt von zuhause aus bis zu den Großeltern – 400 Kilometer quer durch Deutschland. Um die Kinder nicht zu überfordern, plante die Familie die ganze Tour soweit wie möglich steigungsfrei auf Flussradwegen. "Am eindrucksvollsten waren die Tage, an denen alles schiefging", erzählt Barbara. "Reifen platt, Sturzregen, 16-prozentige Steigungen: Da gaben plötzlich alle ihr Bestes. Wir schwärmen heute noch davon, wie toll wir das gemeistert haben."

Regel 4: Es darf auch mal was schiefgehen

Allerdings klappt der Teambildungsprozess nur, wenn alle Beteiligten unterwegs gemeinsam Spaß haben, viel erleben und der Unternehmung einen Sinn abgewinnen können. Wer will schon zu einem Team gehören, das nur langweilige Sachen macht und unfair miteinander umgeht? Diese positive Grundstimmung zu schaffen, ist Aufgabe der Eltern und stellt hohe Anforderungen an Kreativität und Kompromissbereitschaft. Für Kinder sind Touren besonders attraktiv, die ein besonderes Ziel haben oder unterwegs viele nicht alltägliche Erlebnissen bieten.

Regel 5: Motivierende Zwischenstopps mit viel Spaß und Erlebnisse einplanen

"Die erste Radtour mit Kindern haben wir ohne den Vater gemacht", erzählt Krankengymnastin Kathrin Schott. "Es waren Ferien, er musste arbeiten, ich wollte unbedingt noch etwas unternehmen." Die Kinder waren erst einmal wenig begeistert. Radfahren statt sich mit Freunden im Schwimmbad verabreden? Nein danke! Also suchte die Mutter stundenlang im Internet nach Anreizen. Entlang der Strecke fand sie ein Sauriermuseum, ein Technikmuseum mit ausgemusterten Raumfahrzeugen, mehrere Baggerseen mit Badestrand und ein Salzbergwerk. Sie versprach, Berge zu meiden, nur in schönen Hotels zu übernachten und jeden Tag Pommes essen zu gehen. Die Tour wurde ein voller Erfolg.

Anderswo-Tipps

Wie wäre es mit einer Familienwanderung auf Korsika?

Tolle Familienunterkünfte sorgen für die nächtliche Ruhe auf jeder Reise, das Abenteuer sollte aber auch nicht zu kurz kommen.