Wenn die Bäuer*innen im Münsterland ihre Wiesen mähen, ist das für die Radtourist*innen ein gutes Zeichen: Das Wetter bleibt trocken, auch wenn der Himmel im Moment noch etwas wolkenverhangen ist. Aber bevor wir uns auf die Räder schwingen, um die Grenzgängerroute im Dreieck zwischen Münster, Bielefeld und Osnabrück abzuradeln, verführt uns die schmucke Innenstadt von Warendorf zu einem Spaziergang mit Kaffeetrinken.
Dass sich in Warendorf alles ums Pferd dreht, ist kaum zu übersehen. Die Trüffel in der Konditorei heißen „Pferdeäppel“ und die lokale Kirmes, der „Fettmarkt“, endet traditionell mit einem Reitturnier. Auch wenn unsere Pferde aus Stahl sind, profitieren wir von so viel Reitkultur. Denn in der Stadt und in den umliegenden Ems-Auen gibt es viele grüne Wege und schmale Alleen, die ganz offensichtlich für Reiter angelegt wurden. Heute bieten sie – abseits von Straßen und Verkehr - ein perfektes Netz für Radreisende.
Der idyllische Weg durch die Ems-Auen ist Teil der Grenzgängerroute. Die vom ADFC mit vier Sternen ausgezeichnete Tour führt auf 150 Kilometern durch die Region und thematisiert dabei die Grenzen, die es hier gab und gibt: Religionsgrenzen, die noch auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen, Grenzen zwischen Fürstentümern, die noch im 19. Jahrhundert mit Zollstellen gesichert waren, oder die Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die den/die Radfahrer*in mit vielen Kurven überrascht.
Eine weitere Überraschung: der blaue Badesee, der kurz hinter Sassenberg zwischen den Bäumen durchschimmert. Im kleinen Eiscafé an der Promenade wienert Marco seine Espressomaschine. Der Italiener hat heute nicht so viel zu tun. Er freut sich, wenn sich ab und zu noch ein Gast zeigt. Eigentlich ist er Mitte Oktober längst in Italien. Aber dieses Jahr ist alles anders. Auch an diesem Wochenende verspricht das Wetter nochmal gut zu werden. Mützen und Schals, die wir vorsorglich eingepackt haben, bleiben in den Fahrradtaschen. Zum Baden ist es zu frisch, aber ein Eis geht immer.
Die zwei von der Tankstelle
Auch Familie Pille in Bad Laer – einmal über die Landesgrenze im Osnabrücker Land – profitiert nochmal vom schönen Herbstwetter. Mutter Marlies und Sohn Oliver bieten frische Kuhmilch aus der Milchtankstelle an. Geld einwerfen, Flasche ansetzen: Schon fließt ein weißer Strahl melkfrischer Milch aus dem Automaten. 40 Liter pro Tag verkauft Jungbauer Oliver Pille über die Milchtankstelle an Nachbarn und Radtouristen. Der Direktverkauf über den Hofladen bringt bei niedrigen Milchpreisen einen willkommenen Zusatzgewinn.
Viele Landwirt*innen machen es wie Familie Pille: Am Weg gibt es Bauernhofcafés, Hofläden und – je nach Saison – diverse Verkaufsbuden. Schon der Nachwuchs macht mit: Bei „Alinas Hoflädchen“ – einem kleinen Tisch mit Obst und Marmelade am Straßenrand – steht zu lesen: „Ich bessere mit dem Verkauf mein Taschengeld auf.“ Trotz Eis, Milch, Äpfeln und diverser Kaffees kommen wir hungrig in Hilter am Rand des Teutoburger Waldes an. „Heute ist ganz Hilter auf den Beinen“, hatte Oliver Pille vorhergesagt.
Was in Warendorf Fettmarkt heißt, ist in Hilter der Ockermarkt. Und tatsächlich ist schon am Ortseingang kein Durchkommen mehr vor lauter Losbuden, Flohmarktständen, Bühnen und der Parade des Posaunenchors. Am Stand der lokalen Landmetzgerei duftet es verführerisch nach Würstchen. Während wir noch mehr regionale Köstlichkeiten verdrücken, beobachten wir ein Paar, das an seinem Flohmarkttisch eine ungewöhnliche Kombination aus Esoterik- und Landwirtschaftsbedarf vertickt. Zwei kleine Buddhas sitzen so unglücklich zwischen Kuhglocken und Milchkannen, dass wir uns erbarmen. Wir wickeln die zerbrechlichen Figuren in die ungenutzten Wollschals und packen sie zwischen Marmelade, Honig und Landwurst in die Fahrradtaschen. Gut, dass die Zeiten der Zollstellen in der Region längst vorüber sind.