Wer in Schottland Urlaub macht, wird immer zuerst nach dem Wetter gefragt. Regenhäufigkeit, Sonnendauer und Tiefsttemperaturen geraten aber schnell in den Hintergrund, wenn wir von unserer Anreise in die schottischen Highlands erzählen. „Ihr seid mit dem Zug gefahren?“, heißt es dann ungläubig. „Geht das überhaupt?“ Klar geht das.
Die reinen Fakten: Thalys von Köln nach Brüssel, Einchecken in den Eurostar nach London St. Pancras. In London Bahnhofswechsel zur Euston Station, Einchecken in den Nachtzug nach Glasgow. Reisezeit: 18 Stunden, davon elf in der Nacht. „ Konntet ihr da überhaupt ein Auge zutun?“ – Eine Frage, auf die es ebenso wenig eine eindeutige Antwort gibt wie aufs schottische Wetter.
Komfort wie im Hotel
Der Nachzug wartet in der Abenddämmerung auf Gleis 13 im Londoner Bahnhof Euston. Sein Name, Caledonian Sleeper, klingt wie ein Garant für guten Schlaf und schöne Träume. Ein Zugbegleiter steht an der Wagentür. Er prüft die Fahrkarten, hakt unsere Namen auf einer Liste ab und fragt mit rollendem schottischem Akzent, ob wir lieber Tee oder Kaffee zum Frühstück möchten. Unsere Kabine ist die erste links. Der Gang ist so eng, dass wir fürchten, mit unseren Rucksäcken stecken zu bleiben. Und auch die 2er-Kabine mit dem Stockbett wirkt so klein, dass wir das Gepäck schon als Mitschläfer in unseren Betten wähnen.
Das Unternehmen, das den Caledonian Sleeper 2015 übernahm, hat versprochen, in den kommenden Jahren mehr als 100 Millionen Pfund zu investieren. Es will 72 neue „State of the Art“-Wagen für vier Züge bauen lassen. Mit Komfort, Service und Essen wie im Hotel, ein Nachtzugangebot für alle Kunden – vom Backpacker bis zum Geschäftsreisenden.
Tiefschlaf ohne Ohrstöpsel
Irgendwann haben wir das Rucksack-Tetris gemeistert, den versteckten Waschtisch gefunden, uns nachtfertig gemacht und liegen in erstaunlich bequemen Betten. Schlafmaske und Ohrstöpsel liegen auf jedem Kopfkissen, außerdem eine Flasche Wasser und ein duftendes Stück Seife. Ohrstöpsel brauchen wir nicht, denn der Tag in London hat uns die nötige Bettschwere gebracht. Wir sind morgens mit dem ersten Zug durch den Eurotunnel nach London gefahren, um den ersten Urlaubstag an der Themse zu genießen. Dabei haben wir auf dem Borough-Market die weltbesten Doughnuts entdeckt, ein Pint in einem Pub in Whitechapel getrunken und köstlich bei Starkoch Yotam Ottolenghi diniert.
Eine Bekannte hat unsere Art der Anreise treffend zusammengefasst: schrittweise den Alltag hinter sich lassen und langsam in den Urlaub gleiten. Nach dem Tag in der Londoner City mit dem Überangebot an Menschen, Verkehr, Lärm und Sehenswürdigkeiten steigt die Vorfreude auf Stille, Einsamkeit und Natur in Schottland. – Dazwischen liegt nur eine Nacht im Zug.