Ein Gläschen Rosé-Sekt zum Aperitif, Salatvariationen vom Buffet, eine raffinierte Gemüsekreation als Hauptgericht und dann noch Nachtisch … Für Ende September ist der Abend sehr mild. Wir sitzen auf der nur von Kerzenlicht erleuchteten Terrasse des Biohotels Sturm in Mellrichstadt im bayerischen Teil der Rhön beim romantischen Abendessen. Über uns der Sternenhimmel, für den die Region berühmt ist. Die Schäfchenwolken, die noch am Nachmittag unterwegs waren, haben sich verzogen. Mit zunehmender Dunkelheit tauchen immer mehr Sterne am Himmel auf.
Das Hotel Sturm liegt im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön und damit mittendrin im Sternenpark. Hier ist die Dunkelheit geschützt, und so gibt es hier Sterne zu sehen wie Sand am Meer. Für den besten Blick müssten wir runter von der Terrasse und mit den Rädern noch mal ein paar Kilometer den Berg hoch zu einem nahen Beobachtungsplatz, den wir tagsüber ausgekundschaftet haben. Die Alternative ist aber auch attraktiv: Warum nicht noch ein Glas Wein bestellen, sitzen bleiben, vielleicht eine Decke holen und den schönen Abend ganz entspannt auf der Hotelterrasse genießen?
Aber der Begleiter ist schon aufgesprungen und mit den Worten „Ich packe nur schnell meine Kamera ein!“ Richtung Zimmer geeilt. Zehn Minuten später sitzen wir auf den Rädern und radeln die Ausläufer der Rhön hinauf in Richtung Dunkelheit. Mit jedem Stück, das wir uns von der Zivilisation entfernen, wird der Blick auf den Sternenhimmel grandioser. Was ich zuerst für eine ziemlich große Nebelschwade halte, wird zunehmend als Milchstraße erkennbar: Sterne über Sterne, so viele, dass sie zu einer großen Sternenwolke verschwimmen.
Dunkelheit unter Schutz
Je heller Städte, Industriegebiete und Verkehrsflächen beleuchtet werden, umso wertvoller und schützenswerter wird die Dunkelheit – für nachtaktive Tiere, die erst im Dunkeln richtig munter werden, aber auch für den Menschen, der nur bei Dunkelheit den „Schlafhelfer“ Melatonin produziert und die Nacht zur Regeneration braucht.
Damit die Gäste des Sternenparks nicht zu nächtlichen Störfällen werden, hat man in der Rhön an vielen Orten „Himmelsschauplätze“ eingerichtet. Silvia Hillenbrand koordiniert die touristischen Angebote rund ums Sternegucken in der Rhön und erklärt, was es damit auf sich hat: „Wir haben für unsere ‚Himmelsschauplätze‘ besonders dunkle Orte gewählt. Da gibt es Wellenliegen, auf denen man es sich beim Blick in die Sterne gemütlich machen kann, ohne den Nacken zu verspannen. Außerdem finden sich hier Polarsternfinder und drehbare Sternenkarten zur Orientierung am Nachthimmel.“
Eine zweite Funktion der Himmelsschauplätze ist die Besucherlenkung: „Die Dunkelheit im UNESCO-Biosphärenreservat dient vor allem dem Schutz der Tiere. Die sollen möglichst nicht durch Lärm oder Licht gestört werden – auch nicht von den Besucher*innen des Sternenparks“, sagt Hillenbrand.
„Unsere“ Wellenliege steht an einem Feldrain mit freiem Blick in alle Himmelsrichtungen. Wir haben kuschlige Jacken eingepackt, die wir gegen den kühlen Wind, der hier oben über die Bergkuppe weht, gut gebrauchen können. Während ich mich auf der Liege ausstrecke und schon mal nach Sternschnuppen Ausschau halte, schraubt der Hobby-Astronom seine Kamera aufs Stativ.
Aber so imposant die Fotos hinterher auch sein werden: Mit diesem lebendigen Naturschauspiel können sie nicht mithalten! Die wenigen Sternbilder, die ich vom Stadthimmel kenne, gehen in dieser unglaublichen Sternenfülle fast unter. Dafür werden Sternennebel sichtbar, die ich mit bloßem Auge noch nie gesehen habe. Satelliten sausen von rechts nach links. Unzählige Flugzeuge kreuzen. Und dann, als ich schon fast ein bisschen schläfrig geworden bin, kommt sie doch noch, die Sternschnuppe. Ganz großes Kino.
Rhön per Rad
Zurück im Hotelzimmer kuscheln wir uns mit einer heißen Tasse Tee aufs Sofa und suchen auf der Karte nach weiteren Himmelsschauplätzen, die wir per Rad erreichen können. Gar nicht weit entfernt auf der hessischen Seite der Rhön im einsamen Ulstertal gibt es ein „Sternenkino“, das das visuelle Himmelserlebnis multimedial ergänzt – zum Beispiel mit Hörerlebnissen, die man mit dem Handy über einen QR-Code aktivieren und anhören kann.
Und vom Ulstertal aus ist ein weiteres Highlight zu erreichen, das auch mit Dunkelheit zu tun hat: Ein Bahntrassen-Radweg inklusive Tunnel verbindet das Ulstertal mit der Region Fulda. Der knapp 1,2 Kilometer lange Milseburg-Tunnel ist nur während der Sommermonate geöffnet. Im Herbst und Winter ist er Rückzugsort für Fledermäuse und muss dann – mit 150 Höhenmetern extra – umfahren werden.
Den Rückweg von Mellrichstadt nach Hause ins Rheinland legen wir also so, dass wir über die Hochrhön und durchs Ulstertal kommen. Obwohl der Anstieg uns heftig fordert, genießen wir die Vielfalt der Landschaft. Von der Thüringer Hütte aus bewundern wir den weiten Blick über die umliegende Bergwelt und das Spiel von Licht, Wind und Wolken über den hellen Kuppen. Auf der Hochebene radeln wir durch weite Wiesen- und Moorlandschaften, bevor wir auf der anderen Seite in den Wald eintauchen und es endlich rasant bergab geht.
Am Abend sitzen wir auf der Terrasse eines kleinen Ausflugslokals, essen leckere Balkan-Spezialitäten, trinken das verdiente Feierabendbier nach dem langen Tag auf dem Rad und sind uns ausnahmsweise mal einig: Heute beobachten wir den grandiosen Nachthimmel nur noch vom Bett aus. Das steht immerhin unter einem riesigen Dachfenster.