Mein Lieblingsplatz in unserem Cottage: ein verglaster Erker mit Blick aufs Meer. Hier sitze ich jeden morgen mit einem Kaffee und schaue dem Wechsel von Licht und Wolken zu. Meine Lieblingsjahreszeit für den Irlandurlaub: der Winter. Seit vielen Jahren kommen wir mit Freunden in der Adventszeit oder zwischen den Jahren in den Südwesten Irlands.
Die wilde Landschaft mit Steilküsten, Klippen, Mooren, selbst im Winter üppig-grünen Gärten und den kargen Bergen im Hinterland wurde im 19. Jahrhundert mit der Panoramastraße Ring of Kerry erschlossen, um Gäste in die Region zu locken. Die kamen – zuerst mit Pferdekutschen, dann mit Bussen und immer größeren Bussen. Die Star-Wars-Filmproduktion auf Skellig Michael, der berühmten Insel vor Kerry mit verlassenem Kloster und UNESCO-Weltkulturerbe-Status, hat nochmal neue Zielgruppen nach Irland gelockt. Im Sommer geht am Ring of Kerry die Ruhe und Schönheit der Landschaft an vielen Stellen im touristischen Trubel unter.
Für uns gewinnt die Region im Winter ihren Reiz zurück. Die Tage sind zwar kurz, aber Dank des Golfstroms überraschend warm – viel wärmer als in Deutschland. Die milden Temperaturen um die 15 Grad finden wir perfekt zum Wandern. Das Wetter wechselt schnell. Es regnet täglich, aber nie lange. Dazwischen scheint immer wieder die Sonne - mit Regenbogengarantie! Windgeschützt sitzen wir machmal sogar im T-Shirt draußen und genießen die Wärme. Meer, Licht und Wolken verändern sich ständig – ein Traum für Fotografen.
Besucher*innen-Hotspots wie die Kerry Cliffs, die Strände, Burgruinen oder die ringförmigen Steinforts, an denen sich während der Hochsaison Busse, Autos und Menschen drängen, sind im Winter ausgestorben. Selbst auf dem Kerry-Way, ein beliebter Fernwanderweg, der direkt an unserem Cottage vorbeiführt, trifft man in der tiefsten Nebensaison kaum Wanderer. Allein im Nationalpark Killarney, stößt man während der Feiertage oder am Wochenende auf Familien, die einen Ausflug machen oder auf Städter*innen, die sich über Silvester ein paar erholsame Tage in der Natur gönnen. Man kann um die drei großen Seen spazieren oder bis zum Wasserfall. Wer eine größere Tour macht und durch die knorrigen uralten Eichenwälder des Nationalparks wandert, versteht, warum die irische Sagen von Kobolden und Feen erzählen.
Der Pfad ist das Ziel
Unsere Tage sind entspannend unaufgeregt: Beim Frühstück überlegen wir uns, wie wir den Tag gestalten – und einigen uns meistens auf eine Wanderung. Der erste und der letzte Urlaubstag sind traditionell reserviert für unsere Haustour. Wir können direkt von der Terrasse aus starten. Nur ein kurzes Stück über die steile Wiese des Nachbarn, vorbei an Kühen und Schafen und wir sind am Meer und auf einem der schönsten Pfade der Region. Der ehemalige Kirchpfad brachte früher die verstreute Landbevölkerung zum Hochamt auf Abby Island. Die Einheimischen haben ihn für sich selbst als kürzesten Weg zu Fuß zum Strand wiederentdeckt und pflegen ihn für wanderbegeisterte Tourist*innen. Der Pfad führt uns am Strand entlang, über steile kurze Anstiege hoch auf den nächsten Felsen mit einer fantastischen Aussicht aufs Meer. Bei guter Sicht kann man Skellig Michael am Horizont entdecken. Über in den Fels gehauene Stufen gelangt man hinunter zur nächsten Bucht, durch tunnelartig überwachsene Hohlwege wieder hinauf, bis wir schließlich den Strand vor Abby Island erreichen.
Die Halbinsel ist bei Flut fast abgeschnitten. Nur ein schmales Stück Strand führt hinauf auf den Hügel zum Friedhof. Zwischen alten und neuen Gräbern steht die Ruine der alten Abtei. Hinter dem Friedhof wird die Natur wild und sumpfig, die Ränder der Insel sind zerklüftet mit tiefen Einschnitten, durch die das Meer tost. Wir stapfen über schmatzende Sumpfgrasflächen, klettern über die Felsnasen bis ans Wasser und schauen den Möwen zu, wie sie gegen den Wind kämpfen. Die Sonne neigt sich dem Meer entgegen, der Wind schiebt Wolken in allen Graunuancen über den weiten Himmel. Das Licht ist jeden Moment anders und der Blick in die Ferne über den wilden Atlantik wirkt zusammen mit dem Wellenrauschen tiefenentspannend. Wir müssen uns losreißen, damit wir es vor Einbruch der Dunkelheit zurück zum Cottage schaffen. Die Abende verbringen wir meist im Haus. Wir kochen, reden, hören Musik und sitzen bis spät in die Nacht hinein mit irischem Bier am Kamin. Ein absolutes Highlight ist für uns die Silvesternacht ganz ohne Feuerwerk: Meeresrauschen statt krachender Böller, echte Sterne statt Pyrotechnik und klare Luft - ein Hoch auf den Winter in Irland.
von Valeska Zepp