All die Fotokalender lügen nicht: Das diffuse Licht in Kombination mit der einmaligen Landschaft – diese Mischung hat etwas Verwunschenes. Es ist ruhig und weit, jedes Foto ist einzigartig und sieht auch ohne Filter fantastisch aus. Man möchte gar nicht aufhören, sich umzusehen. Hollywood hat die Vulkaninsel Island längst für sich entdeckt, um fremde Planeten oder Fantasy-Welten darzustellen, und Fans des Nordens strömen unentwegt in Richtung "Eisland".
Island – ein Hauch von Schwefel
Wir planen für unseren knapp dreiwöchigen Aufenthalt einen eher klassischer Reiseverlauf: Ankunft in Keflavík, ein paar Tage Reykjavík zum Ankommen und eine darauf folgende Rundreise gegen den Uhrzeigersinn mit diversen Stationen. Die Insel ist klein genug, um sie in einem Urlaub zu umrunden. Reisezeit: September/Oktober – nicht mehr Hauptsaison, aber noch nicht so kalt, dass Schnee und Eis Probleme machen können.
Die erste Station, Reykjavík, ist kein Kulturschock. Das Städtchen wirkt vertraut, optisch eine Mischung aus skandinavischen und amerikanischen Wohngebieten, nur die Badekultur überrascht: Auch bei kalten Temperaturen gehen die Isländer*innen ins Freibad. Warme Becken zum Entspannen und Aufwärmen bieten sich als Gegenprogramm zum kalten Bahnenziehen an. Das Trinkwasser in unserer bescheidenen Unterkunft riecht nach Schwefel, schmeckt aber völlig normal. Der Geruch wird uns auf der Reise in der Nähe der heißen Quellen noch häufiger begegnen.
Reykjavík – Hafenstadt und Touristenmagnet
In der Hauptstadt gibt es unter anderem mit der Kirche Hallgrímskirkja und dem Konzerthaus Harpa ein paar architektonische Highlights, die im restlichen Land schon allein aufgrund der dünnen Besiedlung quasi nicht vorhanden sind. Wir spazieren durch die Stadt. Fußgängerzonen, günstige und offensichtlich teure Wohngebiete und Hafenbereiche wechseln sich ab. im Zentrum ist es ebenso voll wie in deutschen Städten. Wie groß wohl der Tourist*innenanteil unter den ganzen Köpfen ist? Bestimmt enorm, die Läden verkaufen Wollpullis, lustige Postkarten und Plüsch-Papageientaucher. Das Angebot an Mitbringseln wirkt etwas stilvoller als von anderen Urlauben gewohnt, aber natürlich wollen alle Geld verdienen. Nach ein paar Tagen verlassen wir die Hauptstadt und starten unsere Rundreise in Richtung Osten.
Heiße Quellen, Vulkane und Islandpferde
Island erschließt sich am einfachsten per Rundreise über die Ringstraße entlang der Küste. Das Hochland im Landesinnern sollte man vor allem im Winter meiden, weil man schnell von der Zivilisation abgeschnitten werden kann, wenn es plötzlich stark schneit. Selbst im Sommer ist es eigentlich nur mit geführten Touren oder einem Geländewagen möglich (und erlaubt), ins Hochland zu fahren. Flüsse kreuzen die Straßen, das Gefährt muss das schaffen. Mit einem Fahrrad oder zu Fuß kann man manchen Wegen gar nicht folgen. Bleibt man im flachen Umland, machen einem die Jahreszeiten aber keine Probleme. Und falls ein Vulkan brodelt, wie in den letzten Jahren der Eyjafjallajökull oder der am Sundhnjúka-Krater, wird das in der Regel rechtzeitig gemeldet.
Besondere Unterkünfte auf Island
Es ist nicht schwierig, eine schön gelegene Unterkunft in Island zu bekommen, da viel vermietet wird und so ziemlich jede Landschaft außerhalb von Reykjavík und ein paar anderen größeren Städten wie etwa Akureyri einfach so eine fantastische Aussicht bietet. Eine Hütte irgendwo auf dem Land? Traumlage inklusive. Viele Gastgeber*innen vermieten auf ihren Grundstücken Garagen oder Hütten, die von ihren Wohnungen getrennt liegen. Schlüsselboxen mit Zahlenschlössern sind weit verbreitet. Manche Vermieter*innen haben wir nie getroffen.
Umso schöner ist es, wenn man ein Bed and Breakfast findet, bei dem man sich mit Einheimischen und anderen Tourist*innen an einen Tisch setzen kann. So entstehen bereichernde Begegnungen: In einer Unterkunft bekommen wir von unserer isländischen Gastgeberin hausgemachtes Pesto mit Kräutern aus dem Garten serviert, während wir am Tisch mit Reisenden aus den USA und Katalonien darüber reden, was sie bewegt – eine spannende politische und gesellschaftliche Themenrunde in der warmen Stube, während draußen stiller Nebel über der Landschaft liegt.
Bed and Breakfast auf Isländisch
In Hvolsvöllur unterhalten wir uns mit unserer Gastgeberin, die zusammen mit ihrem Sohn Besucher*innen begrüßt und bewirtet. "Alle kommen nur wegen des Flugzeugs", erzählt sie uns. "Das Flugzeug hat nichts mit der isländischen Kultur zu tun. Warum interessiert man sich als Gast nicht eher für die Geschichte des Landes, das man besucht?" Das abgestürzte Wrack, das mitten im schwarzen Sand liegt, ist tatsächlich ein beliebtes Fotomotiv. Wir entscheiden uns ihr zuliebe, es auszulassen und stattdessen das Heimatmuseum in Skógar zu besuchen, wo wir unter anderem grasbewachsene Hütten und alte Fischerboote besichtigen können.
In einem urigen Holzhaus mit wild zusammengewürfelter, aber behaglicher Einrichtung bekommen wir auf Wunsch ein veganes Frühstück –detailverliebt vom Gastgeber arrangiert. Sein Kreditkartenlesegerät wirkt auf der Massivholztheke zwischen Häkeldeckchen, alten Gesellschaftsspielen und tibetischen Gebetsfahnen seltsam deplatziert. Wir sprechen die hohen Preise an. Auch für die Einheimischen ist es teuer, erzählt er. Eine Wohnung in Reykjavík muss man sich leisten können. Die meditative Einsamkeit des Umlands scheint nicht immer selbstgewählt.
Mehr als Geysire, Gullfoss, Geothermie und Golden Circle
Kann man sich also von der Insel die träumerische Abgeschiedenheit erhoffen, die man beim Googeln langzeitbelichteter Wasserfälle entdeckt? Teils, teils. Island ist touristisch ziemlich überlaufen. An den Hotspots tummeln sich viele Reisegruppen. Das altbekannte Trio aus Reisebus, Souvenirshop und Toilettenhäuschen spricht an vielen Stellen für sich. Aber natürlich gibt es ein paar Sehenswürdigkeiten, die zu Recht welche sind. Dafür nimmt man den Trubel in Kauf, trippelt mit der Menge an der Absperrung entlang und sieht dem berühmten Geysir bei seiner Fontänen-Show zu.
Darüber hinaus empfiehlt es sich aber, sich einfach der Landschaft zu überlassen: einfach querfeldein zu laufen, zu kraxeln, in kleinen Felsspalten und Tälern nach Höhleneingängen zu suchen oder durch einen kleinen Fluss zu waten (wenn das Schuhwerk es zulässt!). Jeder Winkel ist einzigartig und wunderschön. Es gibt so viel zu entdecken und immer noch genug Landschaft, in der man weit weg ist vom Touristentrubel. Wenn man es darauf anlegt, kann man den ganzen Tag keiner Menschenseele begegnen. Nur mit Schafen sollte man immer rechnen, die sind wirklich überall. Die wolligen Kugeln dürfen im Sommer frei umherstreifen und werden nur selten von Zäunen in Bahnen gelenkt.
Islands Landschaft: Einfach nur schön
Auf unserem Weg um die Insel sehen wir uns einfach nicht satt an den abwechslungsreichen Bildern. Die Landschaft ist nicht wirklich karg, das wäre das falsche Wort. Aber sie ist eben nicht üppig, es gibt kaum Blumenwiesen oder Gebüsch. Es ist felsig und sanft gleichermaßen. Gedeckte Farben, kurze Gräser, Heidelandschaften, dunkle Strände. So etwas wie einen richtigen Wald haben wir bei unserer Tour auf Island nie gesehen. Nur im Þingvellir-Nationalpark gab es dünne Bäume. (Das ist übrigens etwas, was sich durch Aufforstungsprogramme bald ändern soll.) Dafür gibt es viel Wasser, viele Schluchten und Kluften. Während unserer Reisezeit im Spätsommer wirkt alles leicht diesig, selbst wenn die Sonne scheint. Überall Weite und Leere, es ist wie eine andere Welt.
Die Magie der Nordlichter
Und natürlich muss bei einem Island-Bericht ein Thema angesprochen werden: die Nordlichter.
Wir hatten unglaubliches Glück, dass unsere einzige geplante Nacht unter freiem Himmel auch die Nacht war, in der sich die Nordlichter zeigten (und das im Spätsommer). Zögerlich fing der Himmel an, sich zu bewegen, sanfte Grauschleier schienen sich anzuschleichen und dann schnell wieder zurückzuziehen, als würden sich im Zeitraffer Wolken bilden. Es gab noch kein erkennbares Farbspektrum, wir machten testweise ein Foto – und waren fast erschrocken, wie intensiv grün das Bild auf dem Display erschien. Die Belichtungszeit hat das Spektakel quasi vorhergesagt: Die Farben intensivierten sich immer mehr und irgendwann verstanden wir, wieso in den Island-Reiseberichten so oft von magischer Stimmung die Rede ist, man könne sich richtig vorstellen, warum die Isländer*innen angeblich noch an Feen und Elfen glauben. Das stimmt. Dass dieses Naturschauspiel früher mit Magie erklärt wurde, ist absolut keine Überraschung.
Wir haben so viel gesehen und erlebt, dass wir unter tausenden Fotos kaum aussortieren konnten. Wilde Felsgestalten, Papageientaucher, Robben, Regenbögen, Sonnenuntergänge, riesige Gletscher, Eismeere, aber auch Geothermie-Anlagen, Holzkirchen und Kunstwerke: Die Natur hat hier am meisten Wucht, doch auch die menschlichen Einflüsse sind spannend.
Den ganzen Tag draußen zu sein, zerklüftete Landschaften zu erkunden und ganz unterschiedlichen Menschen zu begegnen, die die Faszination teilen, war ein einzigartiges Erlebnis.
Das kleine Aber: die Kosten
Ich möchte dennoch auch zwei "Warnungen" aussprechen: In Island zu übernachten ist nicht günstig (die Preise für Übernachtungen in einer Art Jugendherberge mit Gemeinschaftsbad würden in Deutschland ein komfortables Hotelzimmer abdecken) und wer viel Wert auf gutes Essen legt, muss noch mehr draufrechnen. Bei unserer Rundreise haben wir auf Campingausrüstung gesetzt und uns im Discounter Bónus (die gelbe Einkaufstasche mit dem pinken Sparschwein als Logo halten wir in Ehren) mit Broten, Erdnussbutter, Marmelade und Avocados eingedeckt. Ab und zu gab es vielleicht ein Sandwich unterwegs oder es wurden ein paar Nudeln gekocht, aber Restaurants haben wir uns lieber gespart. Das mag nicht jeder, uns gefiel aber die Freiheit, mit einem Vorrat im Gepäck davon unabhängig zu sein, wo die nächste Stadt ist.
Ach ja: Und packt eine Mütze ein! Es zieht.