Urlaubsvorbereitungen. Bei der Suche nach Isomatten auf unserem Dachboden fällt mir meine Abizeitung in die Hände. Wir sollten uns mit einem Satz selbst charakterisieren. Ich schrieb: „Lieber allein als unter vielen.“ „Ein bisschen cringe“, würde mein Sohn sagen. Mir ist die große Einzelgänger-Geste des 19-Jährigen selbst etwas peinlich. Aber auch heute bin ich noch kein Freund von Gruppenzwang und suche gern meine eigenen Wege. Auch im Urlaub. „Frage“, meldet sich die innere Stimme: „Warum bist du dann auf dem Weg in ein Familien-Sportcamp?“ – „Berufsrisiko“, antworte ich. Den nächsten zwei Wochen sehe ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Provence? Liebe ich! Sport? Sowieso. Kinder- und Jugendprogramm für meinen Sohn Maxi? Wird ihm bestimmt Spaß machen. Aber mit fünfzig fremden Deutschen ein Dutzend Bierbänke und ein festes Tagesprogramm teilen? „Hölle nein!“, hätte der Abiturient in mir gesagt – wenn ich diesen schrägen denglischen Jugendslang nicht erst im Familiencamp gelernt hätte.
Ein Ort mit Bedeutung
Angekommen am Lac de Sainte Croix spricht erst mal nichts für die Hölle – außer der Hitze. Selbst am frühen Abend ist es noch drückend heiß. Die Wetter-App zeigt für die nächsten zwei Wochen eine endlose Reihe strahlender Sonnen und Höchsttemperaturen zwischen 32 und 36 Grad. Der am Fuß der Berge gelegene Stausee wird vom Verdon gespeist, der in den französischen Seealpen entspringt. Bevor der Fluss in den See mündet, gräbt er sich von Osten durch die spektakuläre, bis zu 700 Meter tiefe Verdonschlucht. Auf der dem See westlich vorgelagerten Valensole-Ebene kann man im Juni die berühmten Lavendelfelder der Provence bestaunen. Jetzt, Anfang August, haben wir beim Blick aus dem Auto nur abgeerntete, verdörrte Felder gesehen. Die grelle Sonne, der glühende Boden und der karibisch-türkis funkelnde See verleihen der Umgebung eine unwirkliche Aura. Wie ein Foto, das an manchen Stellen ausgebleicht und an anderen zu farbgesättigt ist.
Ganz wirklich ist dafür Janik. Der freundliche Mittzwanziger mit Glatze, Bart und Brille zeigt uns, wo unser Zelt steht und wo wir das Auto parken können. Der 2-Sterne-Campingplatz ist staubig und steinig. Er hat alles, was man braucht. Aber auch nicht mehr. Auf dem Weg zum etwa 100 Meter entfernten Ufer muss man eine Landstraße überqueren, auf der tagsüber Autos und Motorräder unterwegs sind. Das Camp liegt im hinteren Teil des Platzes. Ich zähle 13 Zelte, zwei Bauwagen, einen Camping-Van und drei Pavillons, die den Gemeinschaftsbereich bilden. Hier werde gegessen, gespielt und gechillt, erklärt uns Janik. Maxi und ich packen die Koffer aus und richten uns im Zelt ein. Irina, meine Frau, wird erst in der zweiten Woche zu uns stoßen.
Janik ist einer der Campbegleiter, die hier „Teamer“ heißen. Wie viele der Teamer, war der Düsseldorfer selbst als Jugendlicher hier zu Gast, zum ersten Mal mit 15. „Den ersten Blick auf den türkisen See vom Rücksitz aus werde ich nie vergessen“, erzählt er. Für ihn sei diese Region ein Stück Heimat. Sein Lieblingsort ist das charmante Dörfchen Aiguines, das ein paar Hundert Meter über Campingplatz und Seeufer liegt. Für Janik ist es bereits das neunte Camp. Er ist offenbar lieber unter vielen als allein. Mir hilft seine persönliche Geschichte dabei, im Camp anzukommen: Gefühlt wandelt es sich von einem Areal auf einem Zeltplatz zu einem Ort mit Bedeutung.
Gemeinschaftsgefühl mit Fußball
Aiguines ist auch der Ort, an dem die gesamte Gruppe erstmals etwas gemeinsam unternimmt. An einem der ersten Abende spielen dort alle miteinander Fußball. Das Panorama ist besonders: Die Hügelketten über dem See glühen im Abendlicht, neben dem Fußballplatz etwas abseits vom Dorf thront ein kleines Chateau mit vier Türmen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Aiguines für die Produktion von Boule-Kugeln bekannt. In der Werkstatt des polnischen Schreiners Arthur Iwanowski kann man sie noch finden, die „Petanque“-Kugeln alten Stils: Sie sind aus Buchsbaumholz geschnitzt und rundum mit Nägeln beschlagen. Aber an diesem Abend dreht sich alles um eine andere Kugel: Teamer, Eltern und Kinder jagen gemeinsam dem Ball nach. Wer nicht mitspielt, schaut zu, klatscht, ruft und unterhält sich. Zum ersten Mal kommt ein wirkliches Gemeinschaftsgefühl auf.
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Was Tim im weiteren Verlauf des Familiencamps alles erlebt hat, lest ihr im Anderswo-Magazin 2025.