Etwas müde recke ich meine Glieder. Der Geruch von frischem Kaffee liegt in der Luft. Ich schaue aus dem Fenster. Draußen scheint die Sonne. Drinnen spuckt die Klimaanlage ununterbrochen kühle Luft aus. Zwar nicht ganz ausgeschlafen, aber gut gelaunt beiße ich in mein Brötchen, belegt mit Butter und Kirschmarmelade. Nicht gerade hochwertige Bäckerware, eher eine klassische Fabriksemmel. Aber sie passt irgendwie zum Ambiente: einfach, aber auch vollkommen ausreichen. Willkommen im Nachtzug nach Wien.
„Du musst unbedingt ins Café Vollpension“, sagt die Dame im blauen Shirt neben mir. Wir haben zwar gemeinsam mit zwei weiteren Mitreisenden die Nacht auf zirka fünf Quadratmetern oder rund 12 Kubikmetern verbracht, ihren Namen kenne ich aber bis zum Ende nicht. Anonymität trifft im Nachtzug auf Vertrautheit. „In der Vollpension gibt es Kuchen wie bei Oma!“, verspricht sie mir. Mein zweites Frühstück ist gesichert!
Wiener Kaffeehaus-Kultur – mal anders
Die Vollpension in Wien stellt die soziale Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt, denn in diesem charmanten Café backen Senior*innen mit viel Liebe und Erfahrung köstliche Kuchen und traditionelle österreichische Mehlspeisen. Durch die Einbindung älterer Menschen in den Betrieb wird nicht nur deren Einsamkeit verringert, sondern auch ihre wertvollen Fähigkeiten und Geschichten an jüngere Generationen weitergegeben. Das Café stärkt so den Austausch zwischen den Generationen und den sozialen Zusammenhalt.
Ich bekomme direkt noch einen Tipp von meiner Mitreisenden: Das Weltcafé in Wien sei großartig zum Brunchen. Das unter anderem bei Studierenden beliebte Café legt großen Wert auf umweltfreundliche Praktiken und faire Handelsbeziehungen. Zudem fördert das Weltcafé regionale und saisonale Zutaten, um Transportwege zu minimieren und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Regelmäßig finden Veranstaltungen zu den Themen Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit statt. Die Speisekarte reicht von traditionellen Frühstücksspeisen wie Omeletts und Pancakes bis hin zu herzhaften Sandwiches und Salaten. Auch vegetarische und vegane Optionen werden angeboten. Bei diesen Aussichten kann mein Wienbesuch doch nur ein Erfolg werden!
Wien per Rad
Ich freue mich, eine offensichtlich ortskundige Wienerin im Zug getroffen zu haben, und nutze die Gelegenheit, diese Informationsquelle beim zweiten Brötchen weiter anzuzapfen – erst recht, weil ich das Gefühl habe, meine Reisebekanntschaft versteht, was ich meine, wenn ich nach Tipps frage, um Wien nachhaltig zu entdecken. Hotspots abklappern ist nämlich nicht so mein Ding.
„Die Donauinsel“ lautet die spontane, wie aus der Pistole geschossene Antwort auf meine Frage, wo es denn in Wien grüne Oasen gibt. Die Wienerinnen und Wiener nutzten die mitten in Wien gelegene Insel zur Naherholung, zum Sport, zum Baden. Und dort seien sogar Schafe als Rasenmäher im Einsatz, erfahre ich.
Drei Stunden später sitze ich auf einem Leihfahrrad und mache mir mein eigenes Bild: Heute findet auf der Donauinsel ein Festival statt. Die grüne Oase ist bevölkert von Bühnen, Fressbuden und natürlich Menschen. Ich lasse mich nicht davon abschrecken, bahne mir meinen Weg und schlage mich Richtung Norden durch. Gut, dass die Donauinsel 20 Kilometer lang ist! Genug Platz für alle mit all ihren unterschiedlichsten Bedürfnisse. Die Massen tummeln sich vor allem auf Höhe der verschiedenen Brücken. Weiter nördlich – und auch weiter südlich – wird es schnell ruhig, selbst an einem Sonntagmittag bei bestem Wetter – so wie heute. Ich lasse mir den Wind ins Gesicht blasen, die Sonne auf die Nase scheinen und kühle mir zwischendurch die Füße in der Donau.
Auf dem Rückweg wechsle ich aufs linke Donauufer, durchquere den Donaupark und bin begeistern von unzähligen idyllischen Sitz- und Rückzugsmöglichkeiten und noch mehr sattem Grün. Ich mache ein Päuschen – und bin wenig später über den komfortablen Radweg unterhalb der Reichsbrücke ratzfatz wieder mittendrin im pulsierenden Großstadttrubel. Und damit auch umgeben von Kalkstein und Asphalt.
Das grüne Wien
Doch wer genau hinschaut, der sieht, das Wien wirklich bemüht ist, die durch riesige Prachtbauten dominierte City zunehmend zu begrünen. Mehr Grün in die Stadt zu bringen, ist Teil der städtischen Nachhaltigkeitsstrategie. So will man das Stadtklima verbessern, die Luftqualität erhöhen, die Biodiversität fördern und die Hitze im Sommer reduzieren. Am Haus des Meeres zum Beispiel hat die Stadt nicht nur die Fassade eines alten Bunkers begrünt, sondern auch Wassersprühnebel zur Abkühlung installiert. Eine willkommene Erfrischung für mich, denn inzwischen ist das Thermometer nahe an die 30-Grad-Grenze geklettert.
Auch Nahrungsmittel direkt in der Stadt zu produzieren, gewinnt in Wien zunehmend an Bedeutung. Der KarlsGarten ist Wiens erster Schau- und Forschungsgarten für urbane Landwirtschaft und liegt mitten am Karlsplatz. Auf 2.000 m² werden verschiedenste Sorten Obst, Gemüse und Getreide kultiviert. Oder die City Farm Augarten, ein urbaner Erlebnisgarten, der sich ebenfalls der nachhaltigen Gemüse- und Obstproduktion sowie der gartenpädagogischen Bildung widmet: Ursprünglich in Schönbrunn gegründet, zog die City Farm 2018 in den Augarten, nachdem die Fläche in Schönbrunn für Eigenbedarf gekündigt wurde.
Wer sich mehr für die Früchte der Arbeit interessiert, der sollte im Supermarkt die Augen nach der Marke Wiener Gusto offenhalten. Denn die Stadt Wien selbst besitzt eine der größten Bio-Landwirtschaften Österreichs. Auf einer Fläche von rund 2.000 Hektar werden Getreide, Kartoffeln und vieles mehr produziert. Der Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bio-Produkte nicht nur nachhaltig anzubauen, sondern sie auch ohne lange Transportwege anzubieten. Sie sind daher nicht nur im Online-Shop, sondern auch in Laxenburg und am Lainzer Tiergarten sowie im ausgewählten Lebensmitteleinzelhandel in und um Wien erhältlich.
Letzteres gilt auch für die Produkte von Hut & Stiel. Das Wiener Unternehmen hat sich auf die nachhaltige Pilzzucht spezialisiert. Und das nicht zufällig in Wien: Denn die Pilze werden auf Kaffeesatz gezogen. Und davon gibt es in Wien wahrlich genug. Anstatt im Restmüll zu landen, wird der Kaffeesatz von Wiener Kaffeehäusern, Restaurants, Großküchen und Büros abgeholt. Hut & Stiel verarbeitet ihn weiter zu Pilzsubstrat, der als Nährboden für die Austernpilze verwendet wird. „Schwammerl Gulasch", Pilzsugo oder Substrat, um eine eigene Pilzzucht zu starten, bekommst du auf Wiener Märkten und bei mehreren Spar Gourmet Filialen in der Stadt.
Alternatives Shopping in Wien
Doch nochmal zurück zu meinem – kaffeesatzfreiem – Kaffee im Nachtzug: Welche Tipps hat meine Reisebekanntschaft denn fürs Shopping?
Der Second Hand-Laden Carla sei eine bekannte Institution für nachhaltiges Einkaufen und Upcycling, erzählt sie mir. Mit mehreren Filialen in der Stadt bietet Carla eine breite Auswahl an gebrauchter Kleidung, Möbeln, Büchern und Haushaltswaren zu erschwinglichen Preisen an. Das Konzept von Carla fördert nicht nur den umweltbewussten Konsum, sondern unterstützt auch soziale Projekte, denn Betreiber der Läden ist die Caritas der Erzdiözese Wien. Die freundliche Atmosphäre und das Engagement für Nachhaltigkeit machen Carla zu einem beliebten Ziel für Schnäppchenjäger und umweltbewusste Käufer gleichermaßen.
Gleiches gilt für den 48er Tandler. Von Möbeln über Elektronik bis hin zu Kleidung bietet der 48er Tandler eine breite Palette an preisgünstigen Optionen für umweltbewusste Käufer. Dieser Laden ist Teil der Wiener Stadtmission und unterstützt mit seinen Einnahmen verschiedene soziale Projekte.
Mit dem Flohmarkt am Naschmarkt, diversen Pfarrflohmärkten sowie neueren Initiativen wie Wild im West gibt es in Wien darüber hinaus ein breites Flohmarkt-Angebot von traditionell bis hipp.
Und das deckt sich genau mit dem Eindruck, den ich am Ende meiner Städtereise nach Wien von der ganzen Stadt habe: Hier trifft Tradition auf Moderne, Geschichte auf Zukunft, Sachertorte auf Veggy-Burger.