Das grüne London entdecken. Stadturlaub mal anders auf den Spuren britischer Öko-Pioniere. Unterwegs gibt es Bio-Essen, selbstgebackenen Kuchen und jede Menge interessanter Begegnungen.
Unverpackt-Läden in London
Catherine Conway diskutiert. Ein Kunde aus der Nachbarschaft hat mal wieder die eigene Tüte vergessen. „Du wirst mich nie erziehen“, stichelt er und lacht. Doch Catherine lässt es sich nicht nehmen, zu argumentieren, vorzurechnen und ihren Charme dabei spielen zu lassen. „Es wird täglich so viel Energie für Wegwerftüten und Verpackungsmaterial vergeudet“, sagt sie. „Dem will ich etwas entgegensetzen.“ Natürlich bekommt der Kunde eine Papiertüte für seine Schokotörtchen. Doch nicht, ohne sich anhören zu müssen, dass er bei Catherine eigene Behälter und Tüten zum Einkaufen mitbringen soll.
„Unpackaged" – "Unverpackt" heißt Catherines Laden, den sie im Londoner Viertel Clerkenwell, in der Nähe des Bahnhofs King’s Cross, in einem ehemaligen Milchladen eingerichtet hat. Und damit ist ihr Konzept auch schon treffend beschrieben: Sie verkauft von Obst und Gemüse über Reis und Linsen bis zu Gewürzen, Milch und Gebäck alles unverpackt, alles aus der Region und, wenn möglich, ökologisch produziert und fair gehandelt. Sogar Marmelade steht im Kühlregal in riesigen Gläsern zum Umfüllen bereit.
Während Catherine noch argumentiert, betritt ein Mann, Anfang vierzig, in Jeans und mit Schirmmütze, den Laden. Er reicht ihr wortlos ein leeres Glas mit Bügelverschluss über den Tresen. Sie wiegt das Glas, gibt es zurück, und der Mann füllt Haferflocken nach. Wieder wiegen, zahlen – Kunden, die ihre eigenen Behälter mitbringen, belohnt Catherine mit einem kleinen Rabatt –, und der Mann verlässt mit kurzem Gruß den Laden.
Die junge Frau hat sich schon immer über den Verpackungsmüll im Supermarkt geärgert. Als sie merkte, dass es einigen ihrer Freunde und Bekannten ähnlich ging, entschloss sie sich, lose Ware zu verkaufen. Zuerst im kleinen Stil und nebenbei, bis es so viel Nachfrage gab, dass sie 2006 einen eigenen Laden eröffnete, der nach und nach expandiert. Außerdem ist Catherine Netzwerkerin. Sie kommuniziert per SMS mit den Köchen der Ökorestaurants im Viertel, vermittelt Kontakte und auch schon mal Ware. Einmal hatte eine Kundin so erfolgreich Salat auf ihrem Balkon angebaut, dass sie nicht wusste, wohin damit. Catherine rief einen befreundeten Koch an, der in seiner Küche auf saisonale und lokal erzeugte Zutaten setzt. Der Salat kam gerade recht.
Wenn sich alles ineinanderfügt, ist Catherine zufrieden. Keine Verschwendung, kein Müll und keine Verpackung - und dass der Nachbar seine eigenen Tüten mitbringt, klappt sicher auch noch.
Ein zertifizierter Öko-Pub
Mittags, halb eins, der Pub füllt sich. Student*innen, Geschäftsleute, alte Damen und Paare mit kleinen Kindern nehmen Platz und studieren die deckenhohen Kreidetafeln neben dem Tresen. Der „Duke of Cambridge“ ist Londons erster zertifizierter Öko-Pub. Während Stammgast Pattie Spargeltarte mit Feigen-Couscous bestellt, studiert ihr Begleiter die ökologische Philosophie des „Duke of Cambridge“. „Alles, was wir verkaufen, ist bio“, steht auf der Tafel. Oder: „Wir ändern unser Angebot täglich. Was gerade keine Saison hat, setzen wir nicht auf die Karte.“ Und: „Unser Fisch stammt von lokalen Fischern und wird vom Marine Stewardship Council (MSC) geprüft.“ Richard ist beeindruckt und bestellt Räuchermakrelen-Pastete.
Hinter dieser konsequent ökologischen Gastronomie steht Pub-Chefin Geetie Singh, die in einer Kommune in den Midlands aufwuchs. Nachhaltiges Leben war für sie immer selbstverständlich. Umso mehr schockierten sie der verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln und die Abfallberge in der Gastronomie. „Essen und kochen sind mein Leben“, sagt Geetie, „aber nicht zu jedem Preis.“ Ein alternatives Konzept musste her. 1998 eröffnete sie den „Duke of Cambridge“.
Gerade robbt ihre kleine Tochter über einen der schlichten Holztische - natürlich restauriert vom Spermüll - und versucht, einen Löffel aus der Kaffeetassse zu stibitzen. So wie Geetie gleichzeitig das Kind in Schach hält, Fragen beantwortet, noch ein paar Dinge mit der Küche bespricht und dabei allen gegenüber charmant und freundlich bleibt, schafft sie es auch, ihren Pub konsequent ökologisch zu betreiben. Für ihre Zutaten muss sie oft den vierfachen Einkaufspreis zahlen. Diesen Mehrpreis gibt sie aber nicht an ihre Gäste weiter: Gute Organisation sei alles, sagt die engagierte Gastronomin. Dank einer ausgeklügelten Vorratshaltung, saisonaler Küche und ihrer Einstellung, Abfall zu vermeiden und alles vom Tier zu verwerten, kann sie preislich mit den anderen Pubs in London mithalten. Energiesparen hilft darüber hinaus, die laufenden Kosten gering zu halten. Bei allen Gedanken über Energieverbrauch, ökologische Landwirtschaft und fairen Einkauf findet Geetie aber immer noch eines am wichtigsten: verdammt gutes Essen.
London zu Fuß entdecken
Jim Walker ist auf dem Weg. Auf seinem Weg, seinem Baby, wie er sagt, dem Jubilee Greenway. Wie immer geht er zu Fuß. Der Jubilee Greenway ist eine von sieben Freizeitrouten durch London, die Jim Walker und seine Kollegen im Auftrag von Transport for London (TfL) entwickeln und umsetzen – der Organisation, die den gesamten Verkehr in der Millionenstadt plant und regelt. Mit finanzieller Unterstützung von TfL rief Jim 2008 das Projekt „Walk London“ ins Leben.
Walker ist überzeugt vom Gehen: Es ist das einfachste der Welt, es hält die Menschen fit und gesund, es schont das Klima. Dennoch bauen es seiner Ansicht nach zu wenige Menschen in ihren Alltag ein. 2000 gründete er die Organisation „Walk England“, um mehr Briten auf die Beine zu bekommen – und berät seitdem Bürgermeister, Verkehrs- und Stadtplaner auf der ganzen Welt. Der Berufsfußgänger staunt darüber, wie oft wichtige Menschen von ihm wissen wollen, was sie denn tun könnten, um das Zu-Fuß-Gehen in Städten attraktiver zu machen. Ständig wird er angefragt, dabei will er doch nur gehen. Jim versteht sich nicht als Lobbyist oder Missionar, nicht als Mann, der mit der Faust auf den Tisch haut und versucht, andere von seiner Meinung zu überzeugen. Er sieht sich als Berater.
Zum Beispiel von Spencer Clark, der bei Transport for London für das Projekt „Walk London“ zuständig ist. Spencer liegt viel daran, seine Stadt durch mehr Fußgänger gesünder, lebenswerter und sicherer zu machen. Die sieben einheitlich beschilderten und durchgängigen Freizeitrouten sind für ihn ein wichtiger Schritt. Auf mehr als 690 Kilometern führen die Routen durch die Millionenstadt und bringen Touristen und Einheimische zu Sehenswürdigkeiten und ungewöhnlichen Plätzen.
Idealistinnen für ein grüneres London
Georgina und Roisin gehören zu den mehr als 100 Freiwilligen, die die "Camden Green Fair" auf die Beine gestellt haben. 20.000 Menschen zieht Londons größte Messe für ökologisches Leben und Wirtschaften im Regent’s Park jährlich an. Ein Jahr lang arbeitete Roisin ehrenamtlich als Marketingmanagerin und Pressesprecherin. Geld verdiente sie abends beim Kellnern. „Ich hoffe vor allem, dass wir die nächste Generation dazu bringen, ihren Planeten zu schützen“, sagt die junge Frau.
Die Besucher der Green Fair sollen Spaß haben, zum Beispiel bei der Modenschau für ökologische Marken oder bei den Live-Konzerten britischer Bands. Für den Strom für Verstärker und Mikrofone sorgen freiwillige Radfahrer neben der Bühne. „Wenn die Menschen anfangen nachzudenken über das, was sie hier sehen, und ein, zwei Dinge in ihrem Leben ändern, beispielsweise weniger Energie oder weniger Wasser verbrauchen, ist schon viel erreicht“, betont Roisin. Sie ist fest überzeugt von diesem Konzept und wird auch die nächste Camden Green Fair mitorganisieren.
Übernachten bei echten Londonern
Maggie Dobson empfiehlt ihren Kunden stets einen Besuch im London Wetland Centre. Auch sie selbst genießt es, im europaweit einzigen Feuchtgebiet mitten in der Großstadt spazieren zu gehen und Vögel zu beobachten.
1986 startete die Mittfünfzigerin ihre Agentur „At home in London“, inzwischen "London BB", mit der sie Besuchern eine familiäre Alternative zum anonymen Hotel bieten möchte. Maggie vermittelt Wohnraum auf Zeit an Bed&Breakfast-Gäste oder an Menschen, die sich beruflich länger in der Stadt aufhalten. Heute kann sie auf mehr als 60 Londoner Gastgeber in Wohnvierteln wie Chiswick, Chelsea, South Kensington, Notting Hill oder Westminster zurückgreifen. Sie überlassen den Gästen nicht nur ein Zimmer und machen Frühstück, sondern stehen, wenn gewünscht, auch mit Rat, Tat und Tipps zur Seite.
Dann begann Maggie, sich für ökologischen Tourismus zu interessieren. Daraufhin gründete sie eine „Grüne Gruppe“, der sich viele ihrer Gastgeber anschlossen. Sie verpflichteten sich, ihre eigenen Haushalte umweltfreundlicher zu führen, beispielsweise Energie zu sparen, Abfall zu vermeiden oder zu recyceln und damit Besuchern eine möglichst ökologische Unterkunft zu bieten. Für ihr eigenes Zuhause hat Maggie Dobson schon eine ganze Reihe an Maßnahmen umgesetzt – von fair gehandeltem Tee und Kaffee bis zu einem effizienteren Warmwasserboiler.
von Valeska Zepp