Anderswo-Autorin Sabine Gräter hat die Radwege entlang des Göta-Kanals einmal quer durch Schweden getestet. Hier ihr Reisebericht:
In der frühen Morgensonne teile ich mir den schmalen Schotterweg mit einigen Enten. Ansonsten ist es still auf dem Treidelpfad, der von Sjötorp am Vänernsee am Göta-Kanal entlang führt. Der Kanal ist ein Jahrtausendbauwerk. Er verbindet den Vänernsee im Südwesten Schwedens mit der Ostsee. Das sind mehr als 190 Kilometer und 58 Schleusen. Früher war der Göta-Kanal eine der wichtigsten Handelsstraßen Schwedens. Heute ist er ein beliebtes Ziel für Urlauber – besonders für Fahrradfahrer.
Am Abend zuvor hat mich Johan Storm mit Leihrad, Packtaschen und Karte versorgt. Er führt das Gästehaus und die Touristeninformation in Sjötorp. Vor allem aber verleiht er Fahrräder und bietet Touren an. "Wir setzen vermehrt auf ökologischen Tourismus", erzählt er beim Abendessen in seinem kleinen Restaurant. Seit Juni 2010 gehört der Vänern-Schärengarten zu den Biosphärenreservaten der UNESCO.
Entspannt radeln am Göta-Kanal
Die Stimmung am Kanal ist friedlich und verträumt. Das Wasser fließt gemächlich, Uferbäume spiegeln sich. Kleine Häuschen liegen nahe der Schleusen, Dorfstraßen kreuzen den Kanal. Außerhalb der Dörfer sieht man riesige Getreidefelder und Kühe, die direkt neben dem Weg grasen. Fahrräder sind allgegenwärtig, Kinder und Hunde werden damit transportiert, Angler sind mit dem Rad auf der Suche nach einem geeigneten Platz und in Sjötorp radelt der Schleusenwart von einem Tor zum nächsten. Meine Geschwindigkeit hat sich dem fließenden Wasser angepasst. Die Atmosphäre ist so von Ruhe geprägt, dass mir die Jogger schnell vorkommen. Das Bimmeln der Glocke im nächsten Ort Hajstorp verrät, dass einige Schiffe die Schleuse passieren wollen – eine Abwechslung für die Einwohner und für mich ein willkommener Anlass, Pause zu machen. Im Café beobachte ich bei hausgemachtem Kuchen das Manöver zwischen den Schleusentoren.
Der Göta-Kanal ist nur zwischen Mai und September geöffnet. Der Schleusenwart ist, wie alle seiner Kollegen, Student und arbeitet hier in den Semesterferien.Er kümmert sich nicht nur um Schranken und Tore, sondern erteilt auch Auskünfte. "Ruhig geht es hier zu", erzählt er, "es nimmt höchstens mal ein Radfahrer ein unfreiwilliges Bad, wenn er fasziniert und abgelenkt vom Geschehen ist."
Die Schiffe haben die Schleuse passiert, Kaffeetasse und Kuchenteller sind leer und es geht weiter auf dem Treidelpfad. Nach 20 Kilometern erreiche ich Töreboda. Das Städtchen mit 9000 Einwohnern erscheint nach einem Tag am Göta-Kanal fast hektisch. Die Nacht verbringe ich in einem umgebauten Pfarrhof. Zu den Gästen gehört eine schwedische Familie mit vier Kindern, das kleinste gerade ein Jahr alt. Ein paar Tage Radeln am Kanal gehören seit Jahren zum Ferienprogramm der Familie – die Kleinsten sitzen im Anhänger, die Größeren auf Kinderrädern. Sie fühlen sich hier sicher ohne Autos und mit vielen Möglichkeiten, Pause zu machen und einzukehren. Zurück fahren sie mit dem Ausflugsdampfer. Wer rechtzeitig bucht, kann auch mit Fahrrad zusteigen.
Fähre-Lina, die kleinste Fähre der Welt
Die nächste Etappe führt nach Tåtorp und beginnt mit der Überfahrt auf der Fähre Lina. Sie ist die kleinste Fähre der Welt, wird von Hand betrieben und bringt schon am frühen Morgen Menschen zur Arbeit. In Tåtorp übernachte ich im Gästehaus von Margarete und Jonas Fällström – eine ökologische Idylle, entworfen von Architektin Margarete und gebaut von Jonas. Für ihre Gäste kochen die Fällströms tolle Fischgerichte mit Kräutern aus eigenem Anbau. Dazu kann man, in Schweden nicht gerade üblich, Biowein trinken. In den Sommermonaten verkauft das Paar im kleinen Laden des Gästehauses ökologische Produkte aus der Umgebung: Brote, Marmeladen, eingelegte Kräuter und natürliche Farbpigmente. Seitdem Jonas alle Malerarbeiten im Gästehaus mit diesen Farben ausgeführt hat, hofft er, dass viele seinem Beispiel folgen.
Ab Tåtorp ist Schluss mit dem gemächlichen Radeln auf dem Treidelpfad. Rund um den Vikensee führt der Weg über Land, durch Wälder und vorbei an Dörfern mit riesigen Pferdekoppeln. Ziel ist Karlsborg am Vättersee. Leider gibt es von dort aus keine Schiffsverbindung auf die andere Uferseite nach Motala, wo der Göta-Kanal weiter Richtung Ostsee führt. Wer mit eigenem Rad unterwegs ist, hat 90 Kilometer Strecke um den Nordzipfel des Vättersee vor sich. Ich lasse mein Leihrad in Karlsborg zurück – gegen einen Aufpreis wird es abgeholt – und fahre mit Bus und Zug.
Für die touristisch bekanntere Strecke Motala–Söderköping habe ich wieder ein Leihrad gebucht. Im Depot am Hafen bei der Schleuse steht es bereit. Die Etappen auf der anderen Seite des Vätterns sind länger und führen abwechselnd über Land oder entlang des Kanals. Die Kanalwege sind beschaulich und leicht zu fahren. Die Landstrecken hingegen sind anstrengend. Sie verlaufen oft gemeinsam mit dem Sverigeleden, der längsten schwedischen Fahrradroute. Ich treffe dort häufig auf voll ausgerüstete, sportliche Radfahrer. Aber zu meiner Beruhigung fahren auch drei ältere Schwedinnen mit Leihrädern nach Söderköping. Wann immer wir uns treffen, gestehen wir uns, dass wir wieder etwas schieben mussten. "Mit einem Hollandrad nimmt man Anstiege eben nicht so leicht!", ruft die eine und lächelt mir aufmunternd zu.