"Die surreale Vermischung von Kunst, Tourismus und Natur ist in diesem Fall wie ein guter Cocktail ."
Frank Riklin über das „Null Stern Hotel“
An der frischen Luft mit dem Zwitschern der Vögel unter einem sternenbedeckten Himmel einschlafen: Das stellte ich mir so romantisch vor, dass ich spontan Schlafsack und Isomatte einpacke und mir nach Feierabend in der Nähe eine Waldlichtung zum Schlafen suche. Der Himmel ist klar und die Nacht so kühl, dass ich mich noch etwas tiefer in meinen Schlafsack kuschele. So ein Biwaksack wäre jetzt praktisch, eine wind- und wasserdichte Hülle um den Schlafsack, die mich vor der aufziehenden Feuchtigkeit der Herbstnacht schützt. Den Großteil meiner Bekleidung habe ich einfach angelassen, meinen Pulli packe ich noch mit in den Schlafsack, damit er schön warm bleibt. Ich lausche. Hier und da höre ich einen Zweig knacken oder ein paar Blätter rascheln. Mein Herz klopft, als es langsam ruhig um mich wird und die Dunkelheit sich wie eine Decke über mich legt. Ich blicke in den Himmel und fange an die Sterne zu zählen. Ist das da der Große Wagen? Jetzt vermisse ich eine Sky-Map-App auf meinem Handy. Vielleicht habe ich Glück und sehe eine Sternschnuppe, doch die Augen fallen mir immer wieder zu.
Draußen schlafen
Unheimlich und bedrohlich kann eine Nacht im Freien sein. Aber auch aufregend und befreiend. Die Sehnsucht nach dieser ganz unmittelbaren Berührung mit der Natur bringt viele Reisende dazu, ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten ohne Dach über dem Kopf zu buchen – von spartanisch bis luxuriös.
Eine davon ist das „Null Stern Hotel“, ein Konzept der Künstler Frank und Patrik Riklin im Appenzellerland. In Zusammenarbeit mit dem Hotelexperten Daniel Charbonnier setzten die Brüder ein „Hotelzimmer“ in die Weiten der Schweizer Landschaft. Geplant war ursprünglich, in jeder Region der Schweiz ein Doppelbett unter freiem Himmel zu installieren. Aber nur das Appenzellerland war bereit, sich an den Kosten des Experiments zu beteiligen. Bereut haben die Geldgeber das sicher nicht, denn das „immobilienbefreite Hotel“, wie es die Künstler nennen, lockte Gäste aus der ganzen Welt an.
Der „Null Stern“-Butler, der die Gäste vor Ort betreute, ist beruflich eigentlich Landwirt. „Es kamen Gäste aus Irak, Asien, Amerika und sie kommunizierten mit Händen und Füßen“, erzählt Frank Riklin. So verknüpft das Kunstprojekt unterschiedliche Kulturen und gleichzeitig inszeniert es „Freiheit als Luxus“, so Riklin. Bei einem Spaziergang entdeckten die Brüder den idealen Ort für ihr Kunstwerk: Vor traumhafter Naturkulisse, ungeschützt, frei und dennoch auf blütenweiße Laken gekuschelt, brauchten Abenteuerlustige nicht auf den Komfort einer gemütlichen Hotelnacht zu verzichten. Wo das nächste immobilienbefreite Hotelprojekt installiert wird, ist noch geheim. Wer mag, kann sich trotzdem schon mal in die Warteliste eintragen.
Per GPS zum Schlafplatz
Dass Freiheit tatsächlich Luxus ist, merkt man schnell, wenn man sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen fürs Draußenschlafen beschäftigt. Es ist ziemlich verwirrend, welche Vorgaben in welchen europäischen Ländern fürs Biwakieren oder Wildcampen gelten. Da ist Nachfragen oft die beste Lösung, um teils enorme Strafen zu vermeiden. Als Kompromiss bieten einige Regionen Draußenschlafplätze oder Naturcampingplätze an.
Wer in der Eifel beim Trekking auch nachts die Stille der Natur genießen möchte, kann auf Holzterrassen im Freien übernachten. Das Besondere: Die genauen Angaben zum Schlafplatz erhalten Wanderer erst nach der Buchung als GPS-Daten. Wer zwei Zeltplätze reserviert, hat die Plattform für sich allein.
Die französischen „Attrap’Rêves“, Traumfänger, gehen noch ein Stück weiter. Komfortable Betten stehen draußen in Hüllen wie aus Seifenblasen. Die „Bubbles“ bieten Schutz vor Regen und Stechmücken, aber auch volle Sicht auf den Sternenhimmel. Von „Glamour“ bis „Zen“ können Gäste verschiedene Einrichtungsstile wählen.
Schlafen im Baumhaus und Wölfe beobachten
Noch stylischer wird es in den Treehotels in Mittelschweden. Hier schläft man mitten im Wald in Baumhäusern, die die Form eines Ufos oder eines Glaswürfels haben. Riesige Fensterfronten erlauben es, nach Hirschen und Schneehasen Ausschau zu halten. Auch das niedersächsische „Tree Inn“ bietet Baumhäuser mit Aussicht - hier kann man sogar Wölfe beobachten.
Kuriose Übernachtungsmöglichkeiten liegen im Trend. Viele Urlauber sind bereit, für eine romantische Nacht im Freien viel Geld zu zahlen. Dabei war das Biwakieren ursprünglich einfach eine Notübernachtung für Bergwanderer – oft unter extremen Wetterbedingungen. Ich habe Glück: Die Nacht bleibt ruhig und erst das Zwitschern eines winzigen Vogels holt mich im Morgengrauen sanft aus dem Schlaf. Geschickt flattert er nur Zentimeter über die taubenetzten Gräser hinweg und scheint gar keine Scheu vor mir zu haben. Er landet ganz nah bei mir und schaut mich neugierig an. Ich bleibe still liegen, bin Teil der Natur und beobachte, wie die aufgehende Sonne die Schatten von der Lichtung vertreibt.