Nino Zane, Fischverkäufer
© Valeska Zepp

Venedig sehen und schmecken

Ein kulinarischer Streifzug durch die Lagunenstadt

Ein Tusch ertönt. Mauro Lorenzon hält eine Champagnerflasche in die Luft. Trommelwirbel. Er beugt die Knie, dehnt noch mal Arme und Brustkorb und zieht den Säbel. Wieder Trommelwirbel, und ehe man sichs versieht, hat Mauro die Schampusflasche schon geköpft. Geht in der Enotheka Mascareta in Venedig eine Flasche Champagner über den Tresen, öffnet der Chef sie persönlich mit dem Säbel. Zu Piratenfilmmusik schenkt er seinen Gästen den edlen Tropfen ein. Die lachen und erheben die Gläser auf eine wunderbare Stadt. Sie feiern ihren letzten Abend in la Serenissima Repubblica di San Marco – der allerdurchlauchtigsten Republik des Heiligen Markus.

Viel erlebt haben sie in den letzten vier Tagen: Im Palazzo bei einer venezianischen Köchin haben sie gekocht – Sarde in saour, das venezianische Nationalgericht. Von Fischern haben sie sich die Lagune zeigen lassen. Auf der Gemüseinsel San Erasmo saßen sie zu Tisch bei einem Biowinzer, und auf dem Rialto-Fischmarkt durften sie dem Marktleiter über die Schulter schauen. Abends zogen sie, ganz wie die Einheimischen, durch die Bacceri und tranken Ombre – Schatten. Nun feiern sie den Abschluss ihrer kulinarischen Reise. Und wie könnte man das besser tun als mit einem von Mauro Lorenzon direkt am Tisch gekochten Risotto und mit seiner grandiosen Gastfreundschaft.

Die Idee der kulinarischen Reise durch Venedig stammt von Philipp Boeker. Der 33-Jährige veranstaltet mit seinem Unternehmen Sapio verschiedene kulinarische Reisen in Italien. Kleine Gruppen von sechs bis zehn Personen, exklusive Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen sind sein Rezept. Vor Venedig war er zunächst zurückgeschreckt. Weil die Stadt so teuer und so touristisch ist. Aber gerade dort geht seine Idee gut auf. Denn welcher normale Tourist bekommt die Tür zu einem venezianischen Wohnhaus geöffnet und darf dann auch noch mit der Hausherrin zusammen kochen?

Kochen im Palazzo

Der Palazzo von Mariagrazia Calò sieht von außen nicht besonders schick aus. Ein schlichter Eingang im Gassenlabyrinth San Marcos, die Fassade grau, eine Treppe führt nach oben. Aber sobald Mariagrazia die Tür zu ihrer Etage öffnet, weiß man nicht mehr, wohin man zuerst schauen soll: Auf die feinen Tapeten, die verzierten, von goldenen Löwenfiguren aufgehalten Flügeltüren, die Kronleuchter von der Glasbläserinsel Murano oder die unzähligen Silberfiguren – manche original aus dem 16. Jahrhundert. "Fühlt euch wie zu Hause und schaut euch ruhig um", sagt Mariagrazia, während ihr Geschäftspartner Sebastiano Molani, der heute den Kurs in die venezianische Kochkunst leitet, Küchenschürzen verteilt.

Venezianisch kochen heißt vor allem, Fisch und Meeresfrüchte zuzubereiten. Neben der Spüle in Mariagrazias Küche warten Sardinen, ein Wolfsbarsch, ein Stück Lachs, Tintenfische, Garnelen und Muscheln darauf, geputzt und verarbeitet zu werden. "Aber zuerst kümmern wir uns um die Dolchi, den Nachtisch", verkündigt Sebastiano. Küchensprache ist Italienisch, Philipp Boeker übersetzt, wenn nötig. Sebastiano erklärt, wie die Zabaionecreme geschlagen wird, und Ruckzuck geht es ans Gläserfüllen und Schichten mit Nüssen und Schokolade. Mariagrazia und Sebastiano arbeiten Hand in Hand. Während sie den Nachtisch im Kühlschrank verstaut, beginnt er schon, den Fischfond aufzusetzen. Alles Mögliche soll und darf in die Suppe, nur nichts von fetten Fischen wie Lachs oder Sardinen. Stattdessen wandern Fischköpfe in den Topf und die Schalen der Garnelen, die die Kochschüler gerade pulen. Jede Minute können Kochbegeisterte hier etwas lernen: Den richtigen Dreh beim Köpfen der Sardinen. Dass man den Darm von Garnelen am einfachsten mit einem Holzspieß heraushäkelt. Wie man einen Kalmar putzt oder den richtigen Kniff beim Schneiden der frischen Tagliatelle. Nach gut drei Stunden rührt Mariagrazia einen Apperetivo an – Spritz, das ist Weißwein gemischt mit Apperol oder Campari, serviert mit einer grünen Olive. Die Köchin schickt ihre Schüler mit den orangeroten Getränken ins Wohnzimmer, wo ein Teller bereitsteht mit Brot und Bacala, einer sahnigen Stockfischcreme. Der Wolfsbarsch gart im Ofen auf Kartoffelscheiben, Oliven und Tomaten. Die venezianische Traditionsspeise Sarde in saour – frittierte Sardinen, mit gedünsteten Zwiebelringen, sauer eingelegt und mit Rosinen verfeinert – ruht in einer großen Schüssel in der Küche. Selbst gemachte Pasta und Sugo aus Meeresfrüchten – frisch vom Rialto-Fischmarkt – stehen bereit. Die Kochschüler streifen ihre Schürzen ab und nehmen Platz an Mariagrazias Esstisch. Die Hausherrin füllt Teller. Kühler Weißwein fließt in Gläser. Das Festmahl kann beginnen. Selbst gekocht schmeckt doppelt gut.

Die Fischverkäufer vom Rialto-Markt

Dass die Fische, Krebse, Tintenfische und Muscheln vom Markt an der Rialtobrücke von bester Qualität sind, davon überzeugt sich Marktleiter Lorenzo Manna – kurz Lollo – täglich. Heute führt er Philipp Boekers Reisegruppe über seinen Markt. Neben Philipp begleitet Rebecca, eine italienische Reiseleiterin, die Deutschen. Aber selbst zu zweit kommen sie nicht hinterher mit dem Übersetzen von Lollos Geschichten. Ganz in italienischer Manier redet er ohne Punkt und Komma. Und wenn seine Hände nicht gerade durch die Luft fuchteln oder Meergetier hochhalten, schieben sie eine Zigarette zwischen Lollos Lippen. Der Marktleiter vom Rialto trägt edle Jeans und Designerbrille. Aber er kommt aus einfachen Verhältnissen, hat sich ganz klassisch hochgearbeitet und kennt den Fischmarkt aus jeder Perspektive. Als Träger hat er mit 17 Jahren angefangen, war also einer von denen, die frühmorgens Kisten und Säcke von den Lieferbooten auf die typischen Karren wuchtete und sie durch die holprigen Gassen schob – treppauf, treppab. Dann arbeitete er an einem Marktstand, hat bald einen eigenen, dann zwei. Heute verdient er sich als Marktleiter und betreibt ein Restaurant. Seine Ambitionen für den Rialto-Fischmarkt: größtmögliche Transparenz für die Käufer. Seine Empfehlung: Lieber fantastische Sardinen aus der Lagune kaufen als mittelmäßigen Hummer von wer weiß woher.

Raus in die Lagune

Aus der Lagune stammt auch eine typisch venezianische Delikatesse, die auf dem Rialto bis zu 100 Euro das Kilo kostet – Moeche. Das sind Krebse, die sich gerade eben gehäutet haben und ?– ganz weich, da ohne Panzer – kurz frittiert und im Ganzen gegessen werden. Warum die Moeche so teuer sind, zeigt Lagunenfischer Damiano der Reisegruppe auf einem Bootsausflug.
In Burano, der Fischerinsel vor Venedig, steigen die Deutschen in Damianos Boot. Am Horizont zeichnen sich die schneebedeckten Alpen ab. Das Wetter könnte kaum besser sein. Mitten in der Lagune, wo Holzpoller wie ein Trichter zusammenlaufen, stoppt das Boot. Damiano erklärt, dass an den Pollern Stellnetze und Reusen befestigt sind. Die kontrollieren er und seine Kollegen vom Fischerkollektiv täglich. Der Fischer zieht eine Reuse heraus. Ein paar Krebse haben sich verfangen. Damiano nimmt sie mit.

Zur Lagune gehören großflächige von Kanälen durchzogene Salzwiesen. Das Boot steuert auf eine Anlegestelle zu. Dort sitzt der junge Fischer Stephano in seinem Holzboot, eine Kiste Sardinen auf dem Schoß und eine schwarze Katze an seiner Seite. Vor der Hütte an Land lauert eine ganze Meute auf Futter. "Braucht von euch vielleicht jemand eine Katze?", fragt Stephano und begrüßt lachend die Gruppe. Er steigt zu und zeigt den Besuchern, wie aus den Krebsen Moeche werden. An einer Holzkonstruktion ein paar Meter kanalaufwärts zieht Stephano eine Drahtkiste aus dem Wasser. Er muss sich mit seinem gesamten Gewicht an das Seil hängen, um sie hochzuziehen. Wasser fließt aus der Kiste, zig Krebse tummeln sich darin. Stephano nimmt einige heraus, reicht sie von Hand zu Hand. Täglich begutachtet er, welche bald aus der Haut schlüpfen.
Man braucht eine Menge Erfahrung, um den genauen Zeitpunkt zu erkennen. Jeweils eine Kiste weiter kommen die, die als Nächstes dran sind. Und wenn alles gut läuft, schlüpfen in der letzten Kiste alle Tiere gleichzeitig. Dann packt Stephano sie in einen Sack und bringt sie zum Großmarkt. An guten Tagen bekommt er 20 Kilo zusammen.

Schlemmen auf der Gemüseinsel San Erasmo

Damiano stiftet ein paar Moeche fürs Mittagessen. Das findet auf der Gemüseinsel San Erasmo statt, nur ein paar Bootsminuten entfernt. Die Gruppe ist eingeladen im Privathaus des einzigen Winzers der Lagune – Michel Toulouse vom Bioweingut Orto. Zusammen mit den Fischern sitzen sie an einem langen Tisch mit Blick auf die Reben. Pamela, eine Mitarbeiterin, kocht. Die Reisegruppe kostet beinahe andächtig die frittierten Krebse. Aber die Zucchinibällchen schmecken mindestens genauso gut. Bei den berühmten lilafarbenen venezianischen Artischocken sind sich die Gäste nicht einig. Sie sind sehr aromatisch und leicht bitter – das mögen nicht alle. Als Secondo bringt Pamela eine Gemüselasagne. "Ich serviere heute ein Zero-Kilometro-Essen – also mit Zutaten von hier, ohne Transportaufwand", sagt sie stolz. Erbsen, grüner Spargel und Zucchini hat sie mit dem Fahrrad geholt.

Nach dem Essen fährt Damiano mit der Gruppe zurück nach Burano. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gelöst und alle genießen die schnelle Fahrt, bei der das Wasser nur so spritzt. Der schiefe Kirchturm auf Burano kommt immer näher. Auf der Fischerinsel mit den bunten Häusern bleibt noch ein bisschen Zeit, die Ruhe und die Landschaft zu genießen, bevor es zurück in die Stadt geht. Die Gassen, Treppen, Brücken und vor allem die vielen Menschen hat man beinahe vergessen.

Valeska Zepp, 2012

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