© Holger Leue

Segeltörn ins Watt

Auf einer Fahrt mit dem Plattbodenschiff gibt viel zu tun und noch mehr zu schauen.

Das hölzerne Steuerrad mit der umlaufenden Metallstange ist größer als die Skipperin selbst. Winnie Haring, Kapitänin auf der Iselmar, springt mal nach Backbord, mal nach Steuerbord, um den besten Blick aufs Fahrwasser zu haben. Ruhig und konzentriert hält sie das 40 Meter lange und 7 Meter breite Schiff auf Kurs. Der Ruderstand am Heck ist ihr Platz und egal wie das Wetter ist: Winnie steht draußen. Ein Steuerhaus gibt es nicht. In Jeans und dickem Fleecepulli steuert die 33-jährige Niederländerin mit dem wippendem blonden Pferdeschwanz die Iselmar durchs Wattenmeer.

Die Iselmar ist ein mehr als hundert Jahre altes Plattbodenschiff. Diese dicken Kähne mit weniger als zwei Metern Tiefgang waren früher als Frachtschiffe in den Kanälen der Niederlande und entlang der Nordseeküste unterwegs. Seit niemand mehr Torf oder Kartoffeln mit Holzschiffen transportiert, haben die Niederländer viele dieser Schiffe zu Ausflugsschiffen umgebaut. In den Lagerräumen unter Deck bieten jetzt Kajüten, Waschräume, die Küche und ein Speisesaal Platz und Bequemlichkeit für bis zu 30 Passagiere – in der Regel Schulklassen, Vereine oder sonstige Reisegruppen.

Auf diesem Törn sind es fünf Frauen und sechs Männer, die an den letzten Tagen im Mai das Wattenmeer kennenlernen wollen. Vom Heimathafen Harlingen nimmt die Iselmar Kurs auf die niederländischen Inseln Terschelling, Vlieland und Ameland. Mit an Bord ist auch der 20-jährige Henke Davids. Er hat als Matrose auf dem Schiff angeheuert, weil er das Steuern lernen will.

Kaum ist das Festland im Dunst zurückgeblieben, frischt der Wind auf. Winnie gibt das Kommando zum Segel setzen. „Ihr müsst nicht alles verstehen, was ihr tut, aber alle müssen mithelfen“, sagt sie. Bei den Manövern braucht sie jede Hand. Zwei jungen Frauen gibt die Skipperin Leinen in die Hand, andere rollen mit Matrose Henke die Fock am vorderen Masten auf. Die kräftigeren Männer kurbeln unter Mirjams Anleitung die riesige Seilwinde und hissen das Großsegel. Das ist schwere Arbeit, denn auf dem alten Schiff geht noch fast alles mechanisch.

Schnell fangen die Segel Wind und die Iselmar nimmt Fahrt auf. An Bord breitet sich Ruhe aus. Die Passagiere lümmeln in den Sitzsäcken an Deck, lassen sich vom Seegang hin und her wiegen und schauen den Wolken nach, die über den weiten Nordseehimmel jagen.

Im Takt der Gezeiten

Zweimal am Tag läuft mit der Flut frisches Nordseewasser in die Siele des Wattenmeers und transportiert dabei große Mengen Sand und Schlick. Alles ist immer in Veränderung. Winnie hatte im Hafen die geplante Fahrtroute auf einer Seekarte gezeigt. „Durch die Sandverschiebung ändert sich ständig die Fahrrinne. Mit dem ersten Ausfalten sind die Karten schon wieder veraltet“, hatte die Skipperin erklärt. Sie muss sich deshalb zusätzlich an den im kippeligen Meerwasser tanzenden roten Tonnen orientieren.

Kurz vor Terschelling nimmt Winnie Wind aus den Segeln. Eine Sandbank kommt in Sicht, auf der eine große Kolonie Kegelrobben faulenzt. Einige neugierige Genossen wagen sich nahe ans Schiff und schauen mit ihren Knopfaugen und Schnurrbarthaaren übers Wasser, um gleich darauf wieder wegzutauchen. Als Konkurrenten der Fischer waren Kegelrobben in der Nordsee nahezu ausgerottet. Heute gibt es im Wattenmeer wieder mehrere Kolonien, die hier ihre Jungen aufziehen. „Trotz intensiver Fischerei lebt das Watt und den Robben geht es so gut wie lange nicht“, zitiert das Greenpeace-Magazin Meeresforscher, die die Region seit langem kritisch beobachten.

Wegen seiner Einzigartigkeit hat die UNESCO das Wattenmeer unter Schutz gestellt. Sein flaches Wasser ist Lebensraum für rund 10.000 Arten von Pflanzen und Tieren. Gemeinsam mit den Wattgebieten in Deutschland und Dänemark ist das Weltnaturerbe Wattenmeer mit 11.500 Quadratkilometer Fläche das größte Watt-Insel-Gebiet der Welt.

Inselleben

Das Schiff legt an und die Passagiere schwärmen zum Landgang aus. Aber nicht zu Fuß, sondern typisch niederländisch mit Fahrrädern. Die hat die Skipperin beim Verleiher vorbestellt, sie stehen schon am Anleger bereit.

Den Hafen von Terschelling überragt ein mächtiger viereckiger Leuchtturm. Schon seit dem Mittelalter weist er Seeleuten im nördlichen Teil der niederländischen Küste den Weg. Auch einige der umliegenden Häuser stammen noch aus dieser Zeit. Anders als die deutschen Nachbarn, die Anfang des letzten Jahrhunderts ihre Inseln zu Seebädern ausbauten, haben die niederländischen Inseldörfer ihren ursprünglichen Charme weitgehend bewahrt. Sie liegen geduckt unter hohen alten Bäumen im Schutz der Dünen, wo der Seewind sie weniger angreifen kann.

Wie eigentlich überall ist auch auf den Inseln das Fahrrad das beste Verkehrsmittel. Die Insel Terschelling ist gut 30 Kilometer lang, ihr Strand noch länger. Die Nachbarinsel Vlieland ist so gut wie autofrei, nur die Einheimischen dürfen auf den zwei Straßen ein bischen hin- und herfahren. Auch auf Ameland gibt es für Erkundungstouren durch die kleinen Ortschaften eigentlich keine Alternative.

Die Radfahrer machen sich auf den Weg zum Strand, sausen auf gepflasterten Wegen die Dünen rauf und runter, gegen den salzigen Wind durch Wald und Heide, durch grünsilbriges Gras, über sandige Hügel und Dünentäler. Weite Teile der Inseln stehen unter Naturschutz.

Kapitänin Winnie Harings trifft sich im Hafen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. „Wir Skipper sind ein kleines fahrendes Dorf“, sagt sie. Ihre Heimat ist das Schiff. Schon an ihrem zweiten Lebenstag nahmen sie ihre Eltern, ebenfalls Skipper, mit an Bord. Seitdem ist Winnie so oft es geht auf dem Wasser, rund ums Jahr an die 190 Tage. Den Respekt vor der Natur, vor Stürmen und gefährlichem Seenebel hat sie nicht verloren. „Auch wenn die Törns zu den Inseln keine Weltreise sind, wir dürfen nicht zu selbstsicher sein“, sagt sie. Denn im vermeintlich geschützten Wattenmeer geben Wassertiefe, Wind und Gezeiten wie damals, als die Plattbodenschiffe noch mit Torf und Kartoffeln unterwegs waren, die Route vor.

Uta Linnert, 2018

Mehr Informationen

Mehr Informationen zu den niederländischen Watteninseln, über die Entdeckungstouren im Watt, Hotspots und Naturschutzgebiete: www.wadtodo.nl/de

Anreise zum Hafen Harlingen mit der Bahn www.bahn.de

Törn planen, Preise checken und Schiff buchen: www.iselmar.info

Anderswo-Tipp

Waddengoud, übersetzt Wattgold, steht als Qualitätszeichen für Produkte und Dienstleistungen aus dem Wattenmeer. Es unterstützt die Produktion und den Verkauf lokaler Produkte, die keine langen Transportwege zurücklegen. Das Dorf Oosterend auf  Terschelling hat das Zertifikat erhalten, weil hier nur Einheimische Zimmer vermieten, keine auswärtigen Investoren. So versuchen die Insulaner, den Ausverkauf ihrer Insel zu verhindern: www.waddengoud.nl