Das perfekte Kleid für feine Anlässe ist von schlichter Eleganz, leicht und knitterfrei. Mit einem solchen Kleid im Rucksack ist man für alle Fälle gerüstet – auch wenn man sich zum Beispiel nach einem langen Wandertag im Osnabrücker Land abends mit einem Besuch beim Sternekoch belohnen möchte. Aus dem Rucksack kramen, ausschütteln, anziehen – viel Zeit zwischen Wanderung und Abendessen bleibt nicht, das Programm in der Region zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald ist voller Überraschungen.
Schon morgens, direkt nach dem Start, möchte man den soeben geschulterten Rucksack am liebsten wieder absetzen. Ganz tief einatmen und entspannen: Die Luft schmeckt nach Meer. Salz legt sich auf Haut und Lippen. Aber Meer gibt es hier schon seit vielen Millionen Jahren nicht mehr – zumindest nicht sichtbar. 800 Meter unter der Erdoberfläche hat ein flüssiger Salzwassersee die Ewigkeit überstanden. Aus seinem Wasser wird der Salznebel erzeugt, der rund um die SoleArena in Bad Essen im Osten des Osnabrücker Landes in der Luft liegt. Ein großer Kokon aus Holz, Moosen und Licht schützt die Salzquelle und lädt zum Durchatmen ein – ein Ort zum Verweilen, auch ohne Strand und Wellenrauschen.
Aber die Tagesetappe ist anspruchsvoll. Auch wenn es in Bad Essen als zukünftiger Cittàslow viel um Entschleunigung geht – die Wandererin muss weiter. Auf dem DiVa Walk – einer Wanderroute, die ihren Namen den Dinosaurierspuren am einen und dem Ort der Varus-Schlacht am anderen Ende verdankt – soll es von Bad Essen aus auf dem Kamm des Wiehengebirges 25 Kilometer bis nach Kalkriese gehen. Gut: Gebirge ist etwas zu hoch gegriffen. Das Wiehengebirge bringt es allenfalls zum Höhenzug. Aber das stetige Auf und Ab der Wegeführung treibt Wanderern den Spott über die "Osnabrücker Schweiz" schnell aus. Flach ist es hier am Rande der Norddeutschen Tiefebene nicht.
Hätte man in der Schule aufgepasst, wäre das natürlich keine Überraschung. Der legendäre Sieg über die Römer in der Varusschlacht – nachgestellt in zahlreichen Museen, nachzuverfolgen in vielen Youtube-Videos, als Dokumentarfilm inszeniert von Christian Twente – wäre den Germanen ohne die Unterstützung der Topografie nicht gelungen. Von ihrem Hinterhalt am Berg fielen die Germanen immer wieder in den Heereszug der Römer ein und schnitten sie vom Nachschub ab. Anders, als die Dokumentarfilme zur Varusschlacht glauben lassen möchten, regnet es im Osnabrücker Land jedoch nicht Tag und Nacht. Die Sonne brennt heiß an diesem Juli-Wochenende. Da passt es gut, dass der DiVa Walk über lange Strecken durch lichten Wald führt.
Schlechtes Wetter, Sümpfe und Schluchten – reine Propaganda der Römer, um die vernichtende Niederlage gegen die Germanen besser wegzustecken. "Na ja", relativiert Christa Groth, Stadtführerin in Osnabrück. "Sumpfig war die Region damals schon." Am liebevoll handgefertigten Stadtmodell im historischen Rathaus zeigt sie, wie mühsam die Stadtgründer ihr Land Stück für Stück trockenlegen mussten, bevor sie es besiedeln konnten. Heute belegen die repräsentativen Häuser der damaligen Handelsherren rund ums Rathaus, dass die Mühe sich gelohnt hat. Als Hansestadt hat sich Osnabrück schon im 14. Jahrhundert Ansehen und Wohlstand erarbeitet. Heute mischen sich studentisches Leben und gehobener Lebensstil in der lebendigen Innenstadt. Alternative kleine Läden eröffnen zwischen traditionsreichen Familienbetrieben wie der Confiserie Leysieffer oder dem Café Läer.
Mitten in der Altstadt liegt das Gourmet-Restaurant "la vie" , dessen Chefkoch Thomas Bühner drei Sterne und zahlreiche Auszeichnungen als Gastgeber bekommen hat. Stadtführerin Groth bekommt einen sehnsüchtigen Blick, wenn sie übers "la vie" spricht. Wer von Bühner und seinem Team bekocht wurde, weiß, dass Essen nicht nur gut schmecken, sondern auch Kunstgenuss sein kann.
"la vie": Einfach fallen lassen
Das Verwöhnprogramm beginnt, bevor man das Restaurant betritt. Vor der Tür steht ein junger Mann in stylischer grauer Livree. Er lächelt und hält mit leichter Verbeugung die Tür auf. Im Foyer wartet die nächste Mitarbeiterin. Sie lässt die Fleecejacke diskret im Kleiderschrank verschwinden. Die nächste Fee geleitet uns auf die Terrasse zum Aperitif. Sie reicht uns das Menü, das uns an diesem Abend erwartet: sieben Gänge, die sich vielversprechend anhören: Loup de mer mariniert – Blumenkohl – Quinoa – Zitrone oder Roquefort – Aubergine, auch als Eis – Sojanudel - Minze. Dass man im "la vie" an einem Abend ein kleines Urlaubsbudget verbraten kann, ist eine andere Sache. Um die 250 Euro kann ein Abendessen hier – je nach Getränkewahl – kosten. Unmoralisch? Das findet Chefkoch Bühner nicht. "Was wir hier bieten, ist kein Alltagsessen. Viele unserer Gäste kommen einmal im Leben her, weil sie sich etwas ganz Besonderes gönnen möchten", sagt er. Zu seinem Publikum gehören Geschäftsleute, die ein Essen mit Kunden von der Steuer absetzen. Aber auch Ehepaare, die ihre Silberhochzeit feiern, Genießer aus allen Gesellschaftsschichten, die für ein Essen im "la vie" lange sparen, oder ältere Damen, die mal wieder so richtig verwöhnt werden möchten. "Wenn Gäste zu uns kommen, wünsche ich mir, dass sie sich auf dieses Erlebnis einlassen und sich fallen lassen in diese besondere Atmosphäre", sagt Bühner, der das "la vie" 2006 als Geschäftsführer und Küchenchef übernommen und zu einer der besten Adressen Deutschlands gemacht hat. Die Gäste können nicht zwischen mehreren Alternativen wählen, sondern vertrauen sich seiner kulinarischen Führung an. Bühner, zu dessen Markenzeichen Jeans und Turnschuhe gehören, ist ein Chefkoch, der trotz seiner vielen Auszeichnungen so gar nichts Divenhaftes hat. Keine Show beim Servieren, die den Gast einschüchtert, keine überflüssigen Gläser oder Besteckteile auf dem Tisch, die nur zu Verwirrung führen. "Bei uns ist immer nur auf dem Tisch, was man für diesen Gang braucht", erklärt Bühner.
Frisch aus dem Gemüsegarten
Die kleinen und größeren Blüten, mit denen Bühner seine Gerichte gern dekoriert, können alle mitgegessen werden und bringen überraschende Geschmacksnuancen. Bühner und seine Mitarbeiter finden sie im großen Küchengarten von Schloss Ippenburg, das ganz in der Nähe von Bad Essen liegt. Schlossherrin Viktoria von dem Bussche ist stolz auf die enge Zusammenarbeit mit dem "la vie". "Herr Bühner hat einen eigenen Schlüssel zu unserem Garten", sagt sie. "Er und seine Mitarbeiter können sich hier jederzeit an unserem Gemüse und den vielen Blüten bedienen."
Regelrecht ins Schwärmen kommt sie, wenn sie das Mikroklima rund um die Ippenburg beschreibt: "Hier wächst alles. Es ist einfach unglaublich." Artischocken, Zucchini, Spargel, Bohnen, Erbsen, Kräuter aus aller Welt, dazwischen üppige Kapuzinerkresse. Alles sprießt und blüht durcheinander – die perfekte Mischung aus gut organisiert und chaotisch, die ein Küchengarten braucht.
"Als ich 1976 nach der Hochzeit mit meinem Mann auf die Ippenburg zog, war das Gelände rund ums Schloss eine reine Grünfläche", erzählt die Burgherrin. "Hier blühte nichts. Ich wusste sofort, dass ich das ändern muss." Wenn man mit Viktoria von dem Bussche im Garten unterwegs ist, kann man sich gut vorstellen, wie der Schwiegervater misstrauisch oben am Fenster stand und die junge Frau beäugte, die unten grub und pflanzte und deren Energie keine Grenzen kannte. Mit energischen Schritten durchstreift sie den Garten, springt auf ein Hochbeet – "Das müssen Sie sich einfach von oben anschauen!" –, sucht zwischen den Pflanzen nach einem besonderen Kraut, an dem alle mal riechen sollen, verteilt exotische Blüten und junge Erbsen zum Geschmackstest und stößt immer wieder auf eine Pflanze oder eine Frucht, die sie an eine weitere Geschichte erinnert.
"Die gelben Mini-Zucchini verwendet Thomas Bühner gerne", sagt sie und zeigt auf die kleinen sonnengelben Früchte, die in Bodenhöhe zwischen großen Blättern schimmern. Wie die Schlossherrin selbst lässt sich Bühner bei seinen Streifzügen zwischen Beeten und Gewächshäusern inspirieren. Immer wieder nehmen er oder seine Mitarbeiter essbare Blüten in allen Formen und Farben mit, die sie dann abends mit der Pinzette kunstvoll auf Sellerieschaum oder Rote-Beete-Gazpacho anrichten.
Wie soll das kulinarische Leben nach einem solchen Essen weitergehen? Eingeborene Osnabrücker sehen das gelassen. Hier kann man auch im Alltag genießen – wie die guten Bäckereien, Cafés, Restaurants und der Wochenmarkt mit vielen regionalen Produzenten zeigen. Letzterer ist der ideale Ort, um Leckereien für unterwegs zu besorgen, bevor man sich wieder auf den Weg Richtung Süden macht.
Zehn Minuten sind es per Bahn vom Osnabrücker Hauptbahnhof zum Kloster Oesede, das direkt am Rande des Teutoburger Waldes liegt. Von hier aus erreicht man den "Ahornweg", der sich wie eine große Acht über Hügel und Höhen des Teutoburger Waldes zieht. Wieder überrascht der steile Anstieg auf die Anhöhe, der auf einem gut ausgeschilderten Trampelpfad mitten durch den Wald führt. Hier gibt es zwar keine Zweitausender, aber der Weg nutzt die landschaftlichen Gegebenheiten geschickt und verbindet Waldstücke und Streuobstwiesen, Natur- und Kulturlandschaft, Einsamkeit und schöne Ortschaften. Was an Berghöhe fehlt, machen Aussichtstürme wett, die über die Gipfel hinausragen und den Blick in die Ferne erlauben. Trotz der Nähe zur Stadt und des strahlenden Wochenendwetters trifft man nur wenige Wanderer – noch ein Geheimtipp, so scheint es, im als Wanderregion unterschätzten Osnabrücker Land.
Erst beim Abendessen auf der Terrasse des rustikalen 4-Sterne-Landhauses Buller – mit Blick über die umliegenden Streuobstwiesen – sind sie wieder da, die Genießer, die es sich gut gehen lassen im Osnabrücker Land. Der Blick auf den Parkplatz verrät, dass die meisten Gäste eher nicht mit Rucksack und zu Fuß angereist sind. Sie haben einige der Überraschungen verpasst, die das Osnabrücker Land als Wanderregion bereithält. Auto und großen Koffer braucht man hier jedenfalls nicht. Das knitterfreie Kleid im Rucksack reicht vollkommen.