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Einfach Skifahren

Bregenzerwald

Vorsicht: Rauschgefahr! Die Kurse des österreichischen Tänzers und Skilehrers Michael Widmer-Willam bewahren einen vor Kraftmeierei und Muskelkater. Dafür setzen sie Glücksgefühle frei.

Es ist wie fliegen", sagt er und macht vor, wie er das meint. Er streckt die Arme weit nach außen, bewegt die Hände mit den abgespreizten Fingern. Dann stößt er sich mit zwei, drei Schlittschuhschritten ab und gleitet in weiten Kurven majestätisch und schwerelos den Hang hinunter. Ein kollektiver Seufzer folgt ihm. Einmal so Skifahren können …

Michael Widmer-Willam ist Tänzer – und Skilehrer. Er unterrichtet Anfänger und Asse, Ängstliche und Verwegene, Büromenschen und Bewegungstalente. Er hat ein System entwickelt, eine neue Skipädagogik, die sich aus den Erfahrungen beider seiner Disziplinen speist und ein spielerisches und tänzerisch-leichtes Skifahren zum Ziel hat. Ein Schüler nach dem anderen fährt hinter dem Skilehrer her und versucht das Bewegungsmuster zu kopieren: Schräg am Hang entlanggleiten, dann hoch aufrichten, die Arme weit ausbreiten, als wollte man die ganze Bergwelt umarmen, und dann – eine Hand Richtung Himmel, eine Hand Richtung Boden – das Körpergewicht in die Kurve sinken lassen, dahin, wo es sowieso hin möchte: zum Tal hinunter.

Sabine, deine Zehen sind verkrampft!", ruft Michael einer Teilnehmerin durchs Schneetreiben entgegen. Mit einem gewagten Schwung kommt sie neben ihm zu stehen und schaut auf ihre klobigen Skistiefel: "Woher weißt du das?" Michael malt mit einer Geste ihre Haltung nach: "Das sehe ich an der Haltung deines Oberkörpers." Bei manchen Übungen weiß der Körper gleich, was gemeint ist. Es fühlt sich richtiger an, wenn der Bergski leicht nach vorn geht oder der Arm in der Kurve wie beim Walzertanzen den Schwung mitnimmt. Bei anderen Anweisungen fängt der Kopf an zu arbeiten, versteht nicht und kann nichts umsetzen. Dann verkrampfen nicht nur die Zehen, und das schöne Gleichgewicht ist dahin. Widmer-Willam beobachtet aufmerksam. Er sieht sofort, wenn einer seiner Zöglinge aus dem Rhythmus kommt, und eilt zu Hilfe, dirigiert mit Handbewegungen oder fährt einfach ein Stückchen vor einem her, bis das Gefühl wieder da ist: Jetzt ist die Bewegung im Fluss.

Nicht nur Anfänger, auch geübte Skifahrer pilgerten in der vergangenen Saison in den Bregenzerwald, um in einem der Ski!Projekt-Kurse an ihrem Fahrkönnen zu feilen. Entspannte Bewegungsabläufe und vor allem der Spaß am Spiel mit der Schwerkraft sind Ziel allen Übens. Die Lehrer der unkonventionellen Skischule nutzen ihr breites Bewegungswissen, um jedem Schüler optimal weiterzuhelfen. Ein Feldenkrais-Lehrer betreut die Kurse für Tourengeher und Freerider und vermittelt kraftsparende Aufstiegstechniken. Vorsichtige Wiedereinsteiger nach einer Verletzungspause werden von einer Physiotherapeutin mit medizinischem Fachwissen gecoacht. "Die meisten, die zu mir kommen, arbeiten im Büro und sitzen den ganzen Tag. Sie müssen viele Bewegungsabläufe erst wieder lernen." Wie bei einer Tanzchoreografie teilt Widmer-Willam, der an der Kunsthochschule im niederländischen Arnhem seine Ausbildung gemacht hat, diese Bewegungsabläufe in einzelne erfassbare Lernschritte ein. "Ein Tänzer setzt eine Tanzperformance auch nicht an einem Tag um", erklärt er. "Er überlegt sich, was er ausdrücken will, übt einzelne Sequenzen und verbindet erst zum Schluss alles zu einem in sich stimmigen Ablauf."

Trockenübungen im Studio

Damit die Teilnehmer die Bewegungsabläufe beim Skifahren leichter lernen, hat Michael Widmer-Willam den Skikurs zweigeteilt. Der eine Teil findet "auf dem Trockenen" im Studio statt. In kleinenn aufeinander aufbauenden Übungen vermittelt er im sonnendurchfluteten Gemeindesaal des Ortes Au eine Ahnung davon, wie sich harmonisches, flüssiges Skifahren anfühlen soll. Das Spiel mit der Schwerkraft, das richtige Momentum, das Loslassen des Körpergewichts, ist eines der Hauptanliegen Widmer-Willams. "Nur wer sich richtig in die Drehung fallen lassen kann, kommt auf Skiern auch gut um die Kurve", sagt er. Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, lässt er die Kursteilnehmer auf einer aus Decken ausgelegten Rollbahn um die eigene Achse rotieren. Rollen, abbremsen, beschleunigen, bis der Körper verinnerlicht hat, was gemeint ist.

Auch wenn man anfangs nicht absehen kann, ob man nach der Ski!Projekt-Methode tatsächlich besser Ski fahren lernt, lässt man sich gerne auf den Versuch ein. Die Körperarbeit macht Spaß, tut gut und bringt auch gut trainierten Teilnehmern überraschende Beweglichkeitsfortschritte.

Nach zwei Tagen sanfter Vorbereitung auf dem fast menschenleeren Übungshang kommt die Probe aufs Exempel: Der Himmel ist strahlend blau, der Neuschnee vom Vortag glitzert in der Sonne und das aufgeregte Grüppchen schwebt mit der Gondel hoch zum 2090 Meter hohen Diedamskopf. Bis zum Horizont reihen sich Gipfel an Gipfel – ideale Bedingungen, um das Geübte nun auf "echten" Pisten umzusetzen. "Es ist ein bisschen steiler hier, das ist aber auch schon der ganze Unterschied", ermutigt Widmer-Williams, bevor es losgeht. Viele Skifahrer auf der Piste bleiben stehen und schauen interessiert zu, wie die Widmer’sche Gruppe den Hang hinuntersegelt. Ohne Skistöcke, mit weit ausgebreiteten Armen und ausholenden Schwüngen lassen sich die Schüler dem Tal entgegenfallen.

Seliges Strahlen, wenn ein Schwung besonders gut geklappt hat, Jubel nach einer rundum harmonischen Abfahrt, Freudentänze, wenn endlich der Knoten platzt. Und der Lehrer freut sich mindestens genauso wie die Schüler. "Jetzt hab ich’s verstanden, das ist ja ganz leicht", jubelt eine Teilnehmerin und kurvt elegant den Hang hinunter. "Da machst du mir das schönste Sonntagsgeschenk", sagt Michael Widmer-Willam und strahlt, als ob er selbst gerade eben das Skifahren gelernt hätte.

Regine Gwinner, 2006

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Anreise: Das Ski!Projekt kooperiert mit den lokalen Verkehrsbetrieben und unterstützt die Anreise ohne Auto und die autofreie Mobilität vor Ort.

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