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Blick auf einen großen Platz in der Stadt Sibiu

Blick auf den Großen Ring vom Ratsturm / © Katharina Baum

Sibiu – Kultur im Herzen Rumäniens

von Katharina Baum

In der Mitte Rumäniens liegt Sibiu, zu deutsch Hermannstadt. Die farbenfrohe Stadt wurde im 13. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet. Anderswo-Redakteurin Katharina hat die ehemalige Europäische Kulturhauptstadt im Rahmen ihres Erasmus-Semesters erlebt und verrät ihre Lieblingsorte.

Der Schnee, der schon seit Tagen die Spitzen der Karpaten bedeckt, ist endlich auch im Tal angekommen: Die Schneeschicht, die unter meinen Stiefeln knirscht, wird beständig dicker. Die Fenster, die sonst wie kleine Augen in den roten Ziegeldächern aussehen, blinzeln jetzt aus einer weißen Decke. Auf der Strada Nicolae Bălcescu, der Hauptfußgängerzone, herrscht wie immer geschäftiges Treiben. Aus den Bäckereien steigt mir der verführerische Geruch heißer Gogoşi in die Nase, eine Art gefülltes Schmalzgebäck.

Als ich am Piaţa Mare, dem Großen Ring, ankomme, bleibe ich stehen, um das inzwischen so vertraute Stadtbild auf mich wirken zu lassen. Vor zwei Monaten bin ich als Erasmus-Studentin hierhergekommen, mit bestenfalls dürftigem Wissen über die rumänische und siebenbürgische Geschichte. Nicht zuletzt deshalb traf mich Sibius Schönheit, die hier im Stadtzentrum besonders deutlich zu sehen ist, so unvorbereitet.

Kirchen und Museen im Stadtzentrum

Der Große Ring wird von den blassgelben Gebäuden der katholischen Kirche und des Rathauses dominiert, rundherum säumen Cafés und Restaurants in alten, herrschaftlichen Gebäuden den Platz, in denen meistens reger Betrieb herrscht. Einige der Gebäude hier und am benachbarten Kleinen Ring (Piaţa Mică) beherbergen die Sammlungen der Brukenthal-Museen. Neben einem Pharmaziemuseum im Gebäude der ersten Apotheke Rumäniens und vielen weiteren kleineren Sammlungen, ist vor allem das Herzstück der Sammlung, die Galerie der Europäischen Kunst im Brukenthal-Palais am Großen Ring, absolut einen Besuch wert. Im ersten Stock ist ein Teil der Original-Einrichtung erhalten. Neben alten Möbeln sind auch Instrumente, Skulpturen und kirchengeschichtliche Gegenstände zu bestaunen. Am Ende der Ausstellung kann man einen Teil der wirklich beeindruckenden Bibliothek Samuel Brukenthals sehen, der von 1777-1787 Gouverneur Siebenbürgens war.

Vom Kleinen Ring geht es weiter über die Lügenbrücke (so genannt, weil sie der Legende nach zusammenbricht, wenn man auf ihr eine Lüge erzählt) auf den Huet-Platz, der sich um die große evangelische Stadtpfarrkirche mit ihrem bunt gemusterten Dach zieht. Die Sonntagsgottesdienste werden hier noch regelmäßig auf Deutsch gehalten. Gegenüber von der Kirche steht das Brukenthal-Lyzeum, die deutsche Schule Sibius. Zwischen den beiden Gebäuden findet im Sommer jeden Freitag ein kleiner Bio-Markt statt.

Der Aufstieg auf den Kirchturm ist steil und teilweise schlecht beleuchtet, aber man wird von der Aussicht über die steilen, roten Dächer der Stadt bis zu den Karpaten entschädigt.

Auch die Kuppeln der rumänisch-orthodoxen Kathedrale, keine 500m entfernt in der Strada Mitropoliei, sind vom Turm aus gut zu sehen. Sibiu ist der Sitz der Metropolie Siebenbürgen und somit ein wichtiges Zentrum des rumänisch-orthodoxen Glaubens. Dementsprechend imposant ist auch die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit mit ihrer detailreichen Deckenbemalung und der beeindruckenden goldenen Altarschranke.

Einkauf auf dem Wochenmarkt

Über steile Treppen kommt man sowohl vom Kleinen Ring als auch vom Huet-Platz in die Unterstadt. Auch wenn die Häuser hier teilweise nicht im allerbesten Zustand sind, versprüht auch dieser Teil der Stadt seinen ganz eigenen Charme. Und früher oder später endet jeder Spaziergang durch die Unterstadt am Markt auf dem Zibinsplatz/Piaţa Cibin. Auch wenn sonntags manche Stände leer bleiben, ist in Sibiu eigentlich jeder Tag Markttag. Auf den Holztischen auf dem Platz stapeln Bäuer*innen aus dem Umland Obst, Gemüse und Eingemachtes zu riesigen Pyramiden, in den kleinen Geschäften rund um den Platz gibt es Fleisch, Fisch, Käse und Brot. Egal zu welcher Tageszeit ich herkomme, es herrscht immer reger Betrieb.

Als ich Ende September zum ersten Mal hier war, stapelten sich an den Ständen noch Auberginen, Paprika, Tomaten, Weintrauben, Orangen - alles, was im Sommer wächst und alles aus der direkten Umgebung. Jetzt im Winter ist das Angebot gemäß den Naturgesetzen deutlich beschränkter. Kartoffeln, Möhren und Kohl sind die dominierenden Produkte. Immer wieder fällt mir in Rumänien auf, dass Obst und Gemüse viel intensiver schmecken als in Deutschland. Die Bäuer*innen arbeiten hier oft noch so, wie Generationen von Bäuer*innen vor ihnen. Für moderne Maschinen, teures Zuchtsaatgut und Kunstdünger fehlt schlicht und einfach das Geld.

Kein Wunder: An manchen Marktständen kostet ein Kilo Auberginen nur 2 Lei, umgerechnet circa 50 Cent. Das Preisniveau in Rumänien entlockt mir als Deutscher immer wieder ungläubiges Staunen. Aber bei einem Mindestlohn von umgerechnet ca. 450€ im Monat müssen natürlich auch die Lebenshaltungskosten entsprechend niedrig sein. Sibiu liegt dabei noch in einer eher teuren Region Rumäniens.

Musik und Theater

Zurück in der Oberstadt führt mich mein Weg über den Großen Ring und den Friedrich-Schiller-Platz zur Strada Cetății, die oft als die schönste Straße Sibius bezeichnet wird. Auch wenn die Häuser hier diese Bezeichnung verglichen mit anderen Straßen nicht rechtfertigen, geben die Reste der Stadtmauer mit den drei Wachtürmen der Straße ein ganz besonderes Aussehen. Am Ende der Stadtmauer steht der Dicke Turm, der mit seinen meterdicken Mauern und kleinen Fenstern früher ein Teil der Stadtverteidigung war. Heute beherbergt er die Philharmonie. Unter anderem gibt das Sinfonieorchester Sibiu hier jeden Donnerstag Abend Konzerte, die stets gut besucht sind.

Nicht nur Konzerte, auch Theateraufführungen stehen in Sibiu auf der Tagesordnung. Im Radu-Stanca-Nationaltheater kommen neben rumänischen auch deutschsprachige Produktionen auf die Bühne. Außerdem finden jedes Jahr im September ein Opernfestival und im Oktober verteilt über die Stadt das renommierte Astra-Dokumentarfilmfestival statt. Bei all diesen kulturellen Angeboten, die auch für die lokale Bevölkerung in der Regel durchaus bezahlbar sind, verwundert es nicht, dass 2007, dem Jahr von Rumäniens EU-Beitritt, die Wahl für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ auf Sibiu fiel.

Die Siebenbürger Sachsen heute

Meine letzte Station heute ist das Erasmus-Büchercafé. Die Buchhandlung ist eine von mehreren in Siebenbürgen (Transsilvanien), die vorwiegend deutschsprachige Bücher verkauft. Das Ladenpersonal begrüßt mich beim Reinkommen freundlich auf Deutsch. Sie kennen mich, denn die deutsche Gemeinschaft in Sibiu ist klein. Bei den vielen deutschsprachigen Veranstaltungen, wie zum Beispiel den Lesungen hier im Büchercafé, begegnet man immer wieder denselben Menschen.

Die lange Geschichte der Siebenbürger Sachsen in Rumänien hat viele spannende Kapitel. Besonders überrascht mich aber immer wieder, wie sehr die heutigen Siebenbürger Sachsen, deren Vorfahren oft ja schon seit vielen hundert Jahren in Rumänien leben, sich selbst als Deutsche und nicht als Rumän*innen ansehen.

Auch das Gefühl der Überlegenheit, dass viele Siebenbürger Sachsen im Laufe der Geschichte ihren rumänischen Mitbürger*innen gegenüber empfanden, ist in Teilen noch spürbar. Vielleicht ist das der Grund, warum das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien schon seit vielen Jahren konstant die Mehrheit im Stadtrat stellt, obwohl nur noch knapp 2% der Einwohner*innen Sibius zu den Siebenbürger Sachsen gehören. Der ehemalige sächsische Bürgermeister Sibius, Klaus Johannis, wurde 2014 zum rumänischen Präsidenten gewählt.

Nach einer gemütlichen Teepause in den schönen, lichtdurchfluteten Räumen des Büchercafés trete ich wieder hinaus in die Kälte und mache mich auf den Rückweg zu meinem Wohnheim. Noch immer tanzen Schneeflocken durch die Luft. Der Schnee auf den Bergspitzen der Karpaten, den ich in den letzten Tagen schon sehnsüchtig betrachtet habe, bleibt heute hinter den dichten Schneewolken verborgen.

Reisetipps

Informationen zur Anreise nach Rumänien mit dem Zug gibt es unter "Zügig durch Europa".

Geführte Wander- und/oder Kanureisen durch Rumänien bieten zum Beispiel Wikinger Reisen, WeltWeitWandern und BUND-Reisen an.

Der Veranstalter For Family Reisen bietet eine familienfreundliche Reise nach Siebenbürgen mit Ausgangspunkt Sibiu.

Essen und Trinken

Im und ums Stadtzentrum gibt es eine Vielzahl an Cafés und Restaurants.

Besonders zu empfehlen ist das Café Archiv (Arhiva de Cafea și Ceai) in der Strada Arhivelor 2. In dem etwas versteckten kleinen Café gibt es eine große Auswahl an Tee- und Kaffeespezialitäten, einige davon fairtrade und/oder bio.

Etwas stärkeres gibt es in der Bar Geea, die zum Hostel PanGeea gehört, direkt neben dem Großen Ring. Die Einrichtung ist ein eklektischer Mix, altmodische Sofas stehen unter abstrusen Gemälden und sorgen für ein ganz spezielles Ambiente.

Für traditionell rumänisches Essen geht man im Stadtzentrum am besten in das Kellerrestaurant Crama Sibiul Vechi . Etwas außerhalb der Stadt, im Freilichtmuseum Astra (s.u.), liegt das Cârciuma din Bătrâni, wo es die besten Papanasi (süße, frittierte Quarkknödel) der Stadt gibt. Das Restaurant kann auch ohne Eintritt ins Museum besucht werden.

Eine spannende Fusionküche mit indischen und rumänischen Elementen gibt es im Syndicat Gourmet. Hier gibt es nur wenige Tische, eine Reservierung vorab empfiehlt sich.

Adressen

Die Touristen-Information befindet sich im Rathaus am Großen Ring, die Mitarbeiter*innen dort sind sehr hilfsbereit.

Viele spannende Bücher über Siebenbürgen und Rumänien sowie diverse Karten gibt es im Erasmus-Büchercafé und in der Schiller-Buchhandlung am Großen Ring.
Buchtipp: "Siebenbürgische Reise" und "Siebenbürgische Wanderung" von Joachim Gremm, Schiller Verlag.

Die deutsche "Hermannstädter Zeitung" erscheint jeden Freitag und gibt unter anderem einen Veranstaltungsüberblick. Das kleine Team um Chefredakteurin Beatrice Ungar gibt interessierten Besuchern gerne einen Einblick in das Leben der deutschen Minderheit.

Nicht verpassen sollte man das Astra-Museum: das größte Freilichtmuseum Rumäniens zeigt auf einem großen, rund um einen See angelegten Gelände Häuser und Wirtschaftsgebäude verschiedener Epochen aus allen Teilen Rumäniens. Im Sommer wie im Winter schön!

Direkt neben dem Freilichtmuseum befindet sich der Zoo. Mit den großen Tiergärten in Deutschland kann dieser kleine Zoo natürlich nicht mithalten, ist aber für Familien trotzdem ein tolles Ausflugsziel. Es gibt einige spannende Tiere, einen großen Spielplatz und einen Tretbootverleih. Der Eintritt liegt bei gerade einmal 5 Lei (ca. 1 Euro) für Kinder und 10 Lei (ca. 2 Euro) für Erwachsene.