Wenn in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts jemand in meiner badischen Heimat mit leuchtenden Augen erzählte, er fahre übers Wochenende ins Elsass, hatte diese Ankündigung etwas Verheißungsvolles. Und die Begeisterung der Elsass-Reisenden hatte immer etwas mit Essen zu tun.
Meine Eltern fuhren nie über die Grenze ins gelobte Land. "Fünf Gänge! Zu viel Essen. Zu teuer", lautete die Begründung. Erst mit der Jugendgruppe der Arbeiterwohlfahrt bekam ich Gelegenheit, selbst Erfahrung mit den französischen Nachbarn zu sammeln. Einmal im Jahr ging es als Belohnung für die Arbeit im Jugendzentrum zum festlichen Mahl in die "Moulin de la Wantzenau". In Lauterburg über die Grenze, durch ein paar Dörfer und man war da. Ein riesiger Gastraum ersteht in meiner Erinnerung: Holzboden, unzählige Tische, große Gesellschaften, die sich lautstark unterhalten, eine gelblich, schummrige Beleuchtung. Wieselflinke Kellner tragen fünf Teller auf einmal, Weinflaschen werden entkorkt, Schnecken, Muscheln und Coq au Vin auf die Tische geknallt. So sah er aus, der Traum vom Elsass.
Über viele Jahre hatten mich die Nordvogesen daraufhin in ihrem Bann. Als Student fuhr ich über Hagenau und Wingen sur Moder nach Volksberg, wo ich in einer 150 Jahre alten Mühle mitten im Wald wohnte. Eine gute halbe Stunde war es zu Fuß bis zur Dorfgaststätte "Cheval blanc". Am Wochenende verwandelte sich dieses einfache Wirtshaus in ein Spezialitäten-Restaurant. Ganze Reisebusse mit Essensgästen fuhren vor, und der sonst stille Gastraum war wieder voll und laut und geschäftig. Die Aushilfskellnerinnen, meist kräftige Bauersfrauen aus der Region, balancierten Holzbretter mit "Flammekuche", hauchdünnem Hefeteig mit Speck, Zwiebeln und Rahm belegt, zu den Tischen. Es wurde nachgeliefert, bis man Stopp sagte. Der einfache Wein, Edelzwicker oder schlichter Rouge, floss in Strömen. Das waren herrliche Tage und Nächte.
Wieder ein paar Jahre später entdeckte ich im Elsass die Liebe zum Wandern. Jede Tour enthüllte eine neue Facette der Landschaft. Ich entdeckte unzählige Burgen (Löwenstein, Fleckenstein, die Wasenburg, die von Kaiser Wilhelm im Stil der Zeit renovierte Haut Koenigsbourg), den von keltischen Sagen umwobenen Odilienberg und endlose Wälder mit herrlichen Pfaden. Der Höhepunkt jeder Wanderung war natürlich das Einkehren: vom Gimbelhof bei Burg Fleckenstein – ein richtiges Hotel-Restaurant – bis zu den einfachsten Waldarbeiterkneipen mit Bollerofen in der Ecke und einer Brotzeit aus Rührei und selbstgebackenem Brot.
An einem Osterwochenende, an dem alles ausgebucht schien, landeten meine Frau und ich mit etwas Glück in Neunhoffen im Hotel-Restaurant Schwarzbach. Die Wirtsleute Christian und Estelle Hunckler hatten das ganze Haus voll, aber der eine Tisch für zwei, den wir brauchten, war gerade noch frei. Der Aperitif – ein Crémant d‘Alsace mit einem Hauch Pfirsichlikör – war der Beginn einer großen Freundschaft, nicht nur mit den Gastgebern, sondern auch mit den Weinen des Elsass.
Träume von Obstgärten im November
Von Cleebourg im Norden bis hinter Colmar im Süden reiht sich ein Weindorf ans nächste. Hier baut auch der berühmte Bio-Winzer Marc Kreydenweiss seine Weine an. Wie alle französischen Winzer ist auch Kreydenweiss das "Terroir" wichtig, der Grund und Boden, auf dem die Reben stehen, an dem sich Mikroklima, Mineralien und Wasserhaushalt entscheiden. Als biologisch-dynamischer Winzer betrachtet er den Boden allerdings noch mit anderen Augen. Für ihn ist der Weinberg ein Biotop, in dem Platz für viele Arten von Leben ist.
Nicht nur der Mann, auch die Ergebnisse seiner Arbeit sind beeindruckend. Die Grand-Cru-Rieslinglagen, der Gewürztraminer und die Pinots lösen auch noch an trüben Novembertagen Träume von Obstgärten aus. Flammkuchen und Federweißer sind Klassiker der elsässischen Küche. Obligatorisch ist auch ein Besuch im Weinkeller, zum Beispiel beim Ökowinzer Clément Klur. Er betreibt ein Weingut mit Gästezimmern in Katzenthal.
Ein weiterer Pionier aus dem Elsass ist Clément Klur aus Katzenthal, nahe Colmar. Er verbindet Bioweinbau mit ökologischem Tourismus. Seit 1999 betreibt Klur seine Weinberge nach Demeter-Richtlinien. Auch sein Weinkeller ist ein Bekenntnis zur Ökologie: In den Erdhügel hinein hat Klur mit Hilfe eines engagierten Architekten einen kreisrunden Keller gebaut. Der hundert Jahre alte Nussbaum im Garten blieb erhalten, das Dach ist begrünt, die Kühlung funktioniert auf natürliche Art. Der Wein lagert in riesigen alten Eichenfässern, die im Kreis aufgestellt sind.
Die Ferienwohnungen, die Familie Klur vermietet, sind baubiologisch renoviert, mit Ton, Lehm, Kork und solarer Warmwasserbereitung. Es ist heimelig elsässisch bei Klurs und doch ökologisch modern. So ist auch der Wein: Clément Klur ist gebunden an die sieben Traubensorten, die im Elsass ausschließlich angebaut werden dürfen: Riesling, Pinot blanc, Pinot gris, Muskat, Gewürztraminer, Sylvaner und Pinot noir. Der Öko-Winzer experimentiert dennoch gerne. Wenn nicht mit anderen Trauben, dann eben mit Cuvées, Mischungen aus verschiedenen Traubensorten. Klur hat eine "Gentil de Katz", die eher sanfte Mischung, und eine "Voyou de Katz", die wilde, spritzige Mischung, kreiert.
Ich bevorzuge die sanfte Katz. Aromen von reifem Obst verbinden sich mit Anklängen an Rosenduft. Ein herrlicher Wein für fast alle Tage. Und nach einer Wanderung über die Burgen und Berge der Vogesen passt der erfrischende Weißwein perfekt zur elsässischen Küche.
Tipp "Weinkurs im Château: Verträgich Reisen-Chefredakteurin Regine Gwinner gab dem Bio-Wein Spezialisten Delinat ein Interview zu Ihrem Aufenthalt auf dem Weingut Château Duvivier in der Provence: "Dem Biowinzer über die Schulter schauen" ...
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