Der Zeiger auf der Kirchturmuhr von St. Daniel bewegt sich in Zeitlupe. Ganz, ganz langsam rückt er Minute für Minute vor. Sonst bewegt sich nichts. Ich liege im Ruheraum des Spa-Bereichs im Biohotel Daberer. Das große Panoramafenster gibt dem Blick auf die idyllische Berglandschaft des Kärntner Gailtals einen angemessenen Rahmen. Im Vordergrund: der Kirchturm von St. Daniel, im Hintergrund: tannenbewaldete Berge, dazwischen: Wolkenstreifen, die sehr langsam von links nach rechts durchs Bild ziehen. Draußen rauscht der Bach. Sonst: Stille.
Ich liege auf einer bequemen Liege. Durch die bodentiefe Glasfront blicke ich über den Schwimmteich hinweg auf eine traumhafte Berglandschaft – und habe Entspannungsstress.
Entspannung im Yoga-Retreat
Eine Woche zur Ruhe kommen, rundum bekocht und verwöhnt werden, in der Natur zu sein, dem Körper etwas Gutes tun, Zeit haben, um aktuellen Themen und Gedanken nachzuspüren – eine Perspektive, auf die ich mich seit Wochen freue.
Raus aus dem Büroalltag, rein in die Entspannung – der Gegensatz zwischen schneller Taktung und absoluter Ruhe ist eine Herausforderung. Nicht minütlich die Mails checken, keine wichtigen Telefonate, keine Pflichten, die den Tag füllen. Die größte Aufgabe ist jetzt, die offenen Fragen und unerledigten Jobs der letzten Woche loszulassen und nicht in Gedanken schon mal die hypothetischen Probleme der Zukunft zu lösen. Einfach nur da sein, das schöne Hotel, die wunderbare Natur und die gute Küche genießen und mich freuen, dass es gerade gar nichts zu tun gibt.
„Klack“ bewegt sich der Uhrzeiger und nach 60 Sekunden wieder: Klack – ein erster Erfolg, wenn es mir gelingt, von einem Klack zum nächsten nicht an die Arbeit zu denken.
Achtsam sein
Beate Rader-Juwan, die die Yoga-Woche leitet, hat Erfahrung mit dieser Übergangssituation. Sie plädiert für Geduld und für einen liebevollen Umgang mit dem Teil des Ichs, der am liebsten die Ärmel hochkrempeln und den Laptop auspacken würde. Sie sieht die Situation auch als Chance, mal genau hinzuschauen, welche Gedanken im künstlich erzeugten Vakuum entstehen und was sich in den nächsten Tagen verändert.
Daher steht Achtsamkeit für sie nicht nur beim Yoga selbst, sondern auch bei allen anderen Aktivitäten in dieser Intensiv-Woche an oberster Stelle. Das Yoga, das sie den 13 Kursteilnehmer*innen vermitteln möchte, ist kein agiles Sportprogramm, bei dem es auf Leistung oder besondere Beweglichkeit ankommt. „Mir ist es wichtiger, dass ihr für die Übungen euren eigenen Rhythmus findet und jede Bewegung mit Bewusstheit ausführt“, sagt Rader. „Wir wollen weder durch die Yogaübungen hetzen, noch durchs Leben.“
Leichter gesagt als getan. Es dauert ein bisschen, bis ich mich traue, selbst zu entscheiden, ob sich eine Bewegung richtig anfühlt, und nicht mehr zur Nebenfrau schiele, um zu schauen, ob ich alles richtig mache. Was für eine Erholung, die Augen zu schließen, den Anweisungen zu lauschen und darauf zu vertrauen, dass schon alles in Ordnung sein wird.
In der Freizeit raus in die Natur
Zwei Yoga-Einheiten gibt es jeden Tag – eine morgens um halb acht, eine am Nachmittag. Um kurz nach sieben schon Frühsport? Müde lege ich mich zur ersten Morgeneinheit auf die Yoga-Matte, genieße die Stille und den liebevoll gestalteten Raum – und könnte direkt wieder einschlafen. Aber nach einigen Minuten sanfter und ganz bewusster Bewegung fühle ich mich erstaunlich frisch. Schnell werden die steifen Muskeln geschmeidiger, und die Konzentration, die ich brauche, um den kontinuierlichen Bewegungsanweisungen zu folgen, macht den Kopf wach. Rechts, links, Kopf drehen, Fuß heben, Knie ranziehen … Da bleibt kein Raum für andere Gedanken. Erst bei der Schlussentspannung, als alles ganz ruhig wird und ich sehr entspannt auf meiner Matte liege, ertappe ich mich dabei, wie ich in Gedanken beim Frühsstücksbuffet bin, statt mich aufs Ein- und Ausatmen zu konzentrieren.
Zwischen Frühstück und Nachmittags-Yoga bleibt viel Zeit, um sich in anderen Bereichen in Achtsamkeit zu üben. Anfangs versuche ich, möglichst viel Aktivität in dieses Zeitfenster zu packen. Wandern, Mountainbiken, einen Ausflug ins benachbarte Lesachtal ... als müsste ich Rechenschaft ablegen über die Nutzung meiner Tage. Aber langsam werde ich ruhiger und fange an, die Freiheit zu schätzen, die sich mir bietet – und die Augen zu öffnen für die vielen Details, die sich Architekten und Hotelbesitzer für die Gäste ausgedacht haben: die Kreationen der Küche, die Bibliothek, schöne Sofas und Lesesessel, die überall im Haus zu finden sind, die Waldsauna, der sprudelnde Bach und die vielen Möglichkeiten, abzutauchen im kristallklaren Wasser.
Zur Ruhe kommen
Zum meinem Lieblingsplatz entwickelt sich trotz kühler Temperaturen die Liege auf dem Holzsteg am kleinen Waldbadeteich. Hier kann ich stundenlang warm eingepackt sitzen und den silbern schimmernden Regenbogenforellen zuschauen, die ganz, ganz langsam und sehr effizient mit minimaler Flossenbewegung durchs blaugrüne Wasser ziehen. In meinem Kopf herrscht angenehme Ruhe. Ab und zu fällt ein Herbstblatt raschelnd zwischen den kahler werdenden Ästen aufs Wasser. Sonst: Stille.