Wonach suchst du?

Tanja Wirz und Rainer Wöffler spielen miteinander seit 2011 als "The Red Hot Serenaders" Blues, Swing und Ragtime. / © Katja Fuhr

Der Soundtrack des Sommers

von Regine Gwinner

Allein in den Urlaub? Bei einem Gesangs- oder Gitarrenkurs kommt man über gemeinsame Interessen und Aktivitäten schnell in Kontakt – viel Spaß und lange Nächte inklusive. Ein Sommerkurs mit Gesang und Blues-Gitarre auf einem Weingut in der Toskana

Es ist kurz vor zehn Uhr. Die Luft ist noch frisch, aber der Tag verspricht heiß zu werden. Der Himmel über dem Arno-Tal wechselt langsam vom blassen Babyblau ins mediterrane Azzurro. Es duftet nach Lavendel und Thymian. Das Laub der Olivenbäume schimmert silbern. Augen schließen, Sonne auf der Haut spüren – und den Soundtrack genießen. Denn was tut der Bluesgitarrist, um einem solchen Moment gerecht zu werden? Er spielt den passenden Song – soweit er ihn im Repertoire hat. Uwe hat sich dafür den schönsten Platz auf der Locanda ausgesucht: eine Sitzecke mit Blick übers ganze Tal und die gegenüberliegenden Berge. „Sitting on the top of the world“ singt er und begleitet sich auf der Gitarre.

Die Locanda Casanuova ist ein kleines toskanisches Landgut, das zwar nicht „on the top of the world“ liegt, aber hoch oben auf einem Hügel über dem Arno-Tal. Nur 25 Kilometer sind es von hier bis Florenz. Aber die Stadt ist weit weg. Weinberge, Olivenhaine und Wald umgeben das Anwesen. Der perfekte Ort, um von morgens bis abends Musik zu machen – und auch mal bis tief in die Nacht hinein. Denn wer will schon ins Bett, wenn der Mond hoch am Himmel steht, die Grillen mit den Gitarren um die Wette zirpen und es immer noch einen Song gibt, den man zusammen singen kann? Da entkorkt man lieber noch eine Flasche vom hauseigenen Chianti und hebt sich das Schlafen für zuhause auf.

Es ist Ende August und die Locanda Casanuova wird von Gesang und Gitarrenklängen erfüllt. Die Mediterranean Music School hat das Landgut in Beschlag genommen mit je einem Kurs für Gesang und Bluesgitarre. Ob Anfänger, geübte Chorsänger oder ambitionierte Solisten, jeder kann mitmachen und kommt auf seine Kosten. „Alle machen gemeinsam Musik. Nicht nur während der Kurszeiten, sondern auch davor und danach “, erklärt Tanja, die den Gesangskurs bereits zum vierten Mal anbietet. Sonne, Süden und Musikmachen ganz ohne Leistungsdruck – das Konzept der „Mediterranean Music School“ hört sich nach dem perfekten Urlaub an.

„Dream a little dream“

Viele der Kursteilnehmer haben das Musikmachen erst spät für sich entdeckt. Wie Uwe, der seinen ersten Gitarrenunterricht von seinen Kindern geschenkt bekam, oder Sabine, der der Arzt Musik als Heilmittel verordnet hat. „Dream a little dream“ ist ein Song, den sie sich für den Kurs gewünscht hat. Die meisten Sänger und Gitarristen sind Autodidakten, viele können keine Noten lesen. „Gerade beim gemeinsamen Musizieren ist es ein Vorteil, wenn man keine Noten braucht“, sagt Gesangslehrerin Tanja. Die Vielseitigkeit ihrer Stimme und die meisten Instrumente, die sie spielt, hat sie sich selbst durch Zuhören und Nachmachen beigebracht. „Einfach machen“ ist ihre Devise. Dabei kommt es nicht drauf an, den Halbton genau zu treffen, sondern dass sich das Gesamtergebnis gut anhört. Sie arbeitet viel mit Improvisation, setzt Rhythmusinstrumente ein – vom Waschbrett bis zur Cajón – und ermutigt ihre Kursteilnehmer, ohne Hemmungen möglichst viel auszuprobieren.

Zwei Stunden Gesang oder Gitarre am Vormittag und zwei am Nachmittag, dazwischen ins Städtchen hinunterwandern oder mal ins nahe Florenz fahren – so lautet der Plan. Aber es kommt anders. Am Ende der Woche haben viele der Teilnehmer das Landgut überhaupt nicht verlassen und trotzdem die Toskana von ihrer schönsten Seite erlebt.

Die Tage füllen sich wie von selbst. Das beginnt schon mit der Yogastunde, die Ulla Besançon, Hausherrin auf der Locanda,  jeden Morgen anbietet. Wer wach sein möchte für den Tag und allen Anforderungen gewachsen, sollte um sieben Uhr auf der Matte stehen. Denn auch die vom Singen, Trommeln und Gitarrespielen verspannten Muskeln werden beim Yoga wieder geradegezogen.

Auch wenn vier Stunden Mittagspause zwischen dem Vormittags- und dem Nachmittagsprogramm viel klingt, es bleibt kaum Zeit für eine Siesta, die die Kursteilnehmer angesichts der durchsungenen Nächte gut gebrauchen könnten. Stattdessen nutzen die meisten die Mittagszeit jedoch lieber, um die vielen im Haus herumliegenden Instrumente auszuprobieren, den Gitarristen zuzuhören oder selbst ein paar Griffe für ein erstes kleines Bluesstück zu lernen. Ein Mittagssnack, ein Bad im Naturteich, ein Cappuccino auf der Terrasse mit Blick über den schönen Garten – so gehen die vier Stunden schneller vorbei, als man Big Bill Broonzy sagen kann.

„I love you like a man“

Und nach dem Abendessen geht es einfach weiter. „Das eigentliche Lernen findet abends beim gemeinsamen Musikmachen statt“, verspricht Rainer Wöffler, der den Bluesgitarren-Workshop leitet. Wenn die Tische abgeräumt sind und Espresso und Grappa serviert werden, gehen die Gitarristen ihre Instrumente holen. Gemeinsam spielen sie, was sie tagsüber gelernt haben. Einer fängt an, und wer kann, spielt „einfach“ mit. Rainer gibt Tipps, spielt selbst den einen oder anderen Song und zeigt, dass es noch viel Raum für Entwicklung gibt. „Singt mal wie richtige Männer“, ruft er beispielsweise, als Jochen, langjähriger Teilnehmer des Gitarrenkurses, mit zwei anderen, „I love you like a man“ anstimmt – für Rainers Geschmack viel zu zahm, um die Frauen hinterm Ofen vorzulocken.

Blues ist echte Männermusik und Rainer Wöffler, der diesen Kurs bereits seit Jahrzehnten anbietet, ist ein Held. Seinetwegen haben viele der Teilnehmer überhaupt erst mit Bluesgitarre angefangen. Im Fachmagazin „Acoustic Guitar“ hat Rainer seit über 15 Jahren eine eigene Kolumne, in der er Songs vorstellt und Griffe und Technik dazu erklärt. Die anderen Helden der Blues-Fans haben so schöne Namen wie Big Bill Broonzy, Barbecue Joe oder Memphis Minnie – alles geniale Musiker, von denen Menschen, die sonst eher die üblichen Info- und Dudelsender im Radio hören oder sich mit SingStar heiser singen, noch nie etwas mitbekommen haben.

„Everybody loves my baby“

Mag sein, dass Jochen die Ansprüche seines Blues-Lehrers an echten Männergesang noch nicht erfüllt. Die Frauen laufen ihm trotzdem in Scharen hinterher: „Ich würde gerne ein paar einfache Griffe lernen.“, „Kannst du mir zeigen, wie man das auf der Ukulele spielt?“, „Ich will auch können, was die können!“. Jochen nimmt sich Zeit für alle Fragen und Anliegen und hat in mancher Mittagspause richtig Stress, weil er von einer Übungsgruppe zur nächsten eilt, Notenblätter verteilt und geduldig Fingersätze erklärt. Sein ganz persönlicher Erfolg: Beim Abschlusskonzert beweisen „Jochen und die Ukulele-Girls“, dass auch blutige Anfänger innerhalb weniger Tage einen ordentlichen Blues spielen können. Mit „Everybody loves my baby“ ernten sie – nicht zuletzt dank Jochens toller Gesangseinlage – Begeisterungsstürme beim Publikum.

Das Konzept der „Mediterranean Music School“ geht auf. Spätestens beim Abschlusskonzert zeigt sich, dass jeder seinen Platz gefunden hat – auch wenn alle mit unterschiedlichen Erwartungen angetreten sind. Einige Paare sind dabei, die auch zuhause zusammen Musik machen und sich gemeinsam weiterentwickeln möchten. Aber die meisten kommen allein, weil sie zuhause keine Zeit oder nicht den richtigen Freundeskreis zum Musizieren haben.

Wie Giuseppe, der mit seiner Sing- und Spielfreude alle mitreißt. „Das ist so gut, das müssen wir beim Abschlusskonzert vorführen!“, sagt er immer wieder und geht los, um noch ein Stück auf die eh schon viel zu lange Liste für den letzten Abend zu setzen. Einige der spontanen Improvisationen hören sich wirklich so an, als wären sie lange geprobt. Andere enden im Gelächter, weil die übereinandergesungenen Stimmen und die erfundenen Texte doch zu schräg klingen. Mitternacht ist längst vorbei, aber keiner will ins Bett. Giuseppe spielt immer wieder neue Lieder auf der Gitarre an: Musical, Pop, Rock oder lateinamerikanische Rhythmen. Dazu singt und pfeift der Schweizer mit süditalienischen Wurzeln wie der junge Elvis. Frederik, der im wahren Leben E-Gitarre in einer erfolgreichen Coverband spielt, steigt mühelos ein. Julia und Meike singen und improvisieren. Lydia, die auf der Cajón den Rhythmus schlägt, sorgt dafür, dass trotz später Stunde und steigendem Alkoholpegel alle im Takt bleiben – auch Giuseppe, dem Melodie und Ausdruck wichtiger sind, als sich streng an den Rhythmus zu halten.

Was bei Rock und Pop kein Problem ist, irritiert den Bluesmusiker. „Der Blues ist aus den ‘Worksongs’ entstanden. Da ging es darum, mit einfachen Mitteln einen für alle verlässlichen Arbeitsrhythmus vorzugeben“, erklärt am nächsten Morgen Gesangslehrerin Tanja. „Daher sind Rhythmus und Betonung entscheidend für das richtige Bluesfeeling.“ Die Arbeiter, die im einheitlichen Rhythmus hämmern, sägen oder anschieben mussten, waren auf exaktes Takthalten angewiesen. Giuseppe hätte mit seinen wunderbar gefühlvoll gesungenen Balladen und seinem klaren Tenor zwar die Herzen aller Arbeiter erobert, aber beim Arbeitsablauf eher für Chaos gesorgt.

„Eagle Riding Papas“

Das muss sich ändern, beschließen seine drei Schweizer Landsmänner und gründen fürs Abschlusskonzert eigens die „Swiss Blues Power“, um ihm „den richtigen Rhythmus“ beizubringen. Sie haben sich das Stück „Eagle Riding Papas“ vorgenommen, das beide Kurse parallel einstudiert haben. Es ist jedoch schon bei den Proben absehbar, dass die Umerziehungsmaßnahme vom Heldentenor zum Bluesgitarristen nur bedingt fruchtet: Während die „echten“ Schweizer Bluesgitarristen auf ihren Stühlen sitzen und den richtigen Rhythmus – Viervierteltakt, immer auf der zweiten und der vierten Note betont – mit synchronem Kopfnicken unterstreichen, springt Guiseppe mit der Gitarre um den Hals vor ihnen herum, singt, spielt und hat eine Menge Spaß. 

Beim Konzert am letzten Abend hat die „Swiss Blues Power“ dann ihren großen Auftritt. Vier Männer, drei Gitarren, ein Tenor – der vor lauter Lachen kaum singen kann, weil sein Nebenmann ihm vor jedem Einsatz laut den Rhythmus vorzählt: „ Eins, zwei, drei, vier ...“

„Blue Moon“

Hinter den Bäumen steigt langsam der Vollmond auf. Der Tag war heiß. Der Nachtwind aus dem Arno-Tal bringt willkommene Abkühlung. Die Gitarren sind verstummt, die leeren Flaschen abgeräumt und die Sänger im Bett. Nur ein kleines Grüppchen Unermüdlicher möchte sich noch nicht trennen – von der Musik, von der traumhaften Sommernacht und voneinander. Da reicht die Frage: „Wer kennt noch Lieder, in denen der Mond vorkommt?“ Und schon fällt wieder jedem etwas ein: Kinder- und Volkslieder, Schlager, Pink Floyd und das wunderbar traurige „Blue Moon“, das Mondnacht und Abschiedsschmerz in eine Melodie einfängt.

Aber so schwer der Abschied von der Locanda fällt, so reich kehrt man nach Hause zurück. Neben den vielen neuen Bekanntschaften, einer dicken Mappe voller Noten und Texte reisen im Gepäck auch Rainers Bluesgitarren-Tutorials aus zehn Jahrgängen „Acoustic Guitar“ mit. Der Winter kann kommen.

Die Unterkunft

Das Weingut Locanda Casanuova ist ein ökologisch betriebenes Landgut, 25 Kilometer südlich von Florenz. Nette Menschen, die gute mediterrane Küche mit vielen eigenen Produkten, Weine vom eigenen Gut und schöne Zimmer im historischen Landgut machen die Locanda zum perfekten Ort für den Urlaub.

Anreise: Von München aus gibt es mit der Bahn zahlreiche Tag- und Nachtverbindungen nach Florenz. Von dort aus per Nahverkehrszug jede halbe Stunde bis Figline Valdarno. Vom Bahnhof per Taxi zur Locanda Casanuova.
Auch Fernbusse fahren von vielen Orten in Deutschland und Österreich nach Florenz.

Hier gibt es mehr Informationen zur Anreise mit Bus, Bahn und Fähre nach Italien.

Weitere Informationen

Die Mediterranean Music School bietet seit vielen Jahren Gesangs- und Gitarrenkurse in den schönsten Mittelmeerregionen an. Die Unterkünfte sind stilvoll und bieten viel Raum für Musik und Erholung. Das Kursprogramm ist vielseitig ­­– von Blues über Jazz und Folk bis Lateinamerikanisch. Viele der Kursleiter sind bekannte Musiker oder Hochschuldozenten. Trotz des hohen musikalischen Anspruchs steht der Spaß am gemeinsamen Musikmachen im Vordergrund. Viele Kurse sind für Anfänger geeignet. Kinder sind natürlich willkommen.

Mehr Informationen zu Rainer Wöffler und Tanja Wirz: www.redhotserenaders.ch

Kurse buchen: www.med-music-school.com